"Da war die Rede von Kellermeister Michel Boscq, von dem man sagt, dass es noch nie eine Ernte gegeben hätte, an welcher man den sonst eher schweigsamen Mann so freudetaumelnd zwischen den gärenden Cuviers angetroffen hat. Ausserdem von den ganz kleinen Beeren, Tanninen und Werten, wie man diese seit dem Jahrhundertjahrgang 1961 nie mehr auf Mouton erlebt hat."
""Es war von Anfang an sehr heiss im Rebberg. Ich vermute, dass sich die Reben gleich zu Beginn auf diese lang andauernde Hitze eingestellt hatten und somit einfach weniger produzierten. Übertrieben gesagt, hatte ich manchmal das Gefühl, durch einen Bonsai-Rebberg zu gehen, wenn ich die Parzellen inspizierte"
, berichtet Boscq."
"Zusätzlich haben die Entscheidungen vom technischen Direktor, Patrik Léon, die Ernte mengenmässig beeinflusst. Wir hatten 1992 eine sehr grosse, vielleicht gar zu grosse Ernte und 1993 wieder. Um die Reben nicht überzustrapazieren, haben wir uns 1994 entschlossen, zu Beginn des Jahres kürzer zu schneiden (taille court). Im Frühjahr 1995 dann nochmals. Das hat die Erntemenge schon vor Beginn der Hitze gebremst und so einen Doppel-Reduktions-Effekt ausgelöst. Der Ertrag lag bei knappen 33 hl/ha. Das ist sehr, sehr wenig. Viele Trauben waren nicht viel grösser als Heidelbeeren. Ich muss aber zugeben, dass ich selbst noch nie einen Mouton erlebt habe, der in diesem Stadium noch so verschlossen war. Vielleicht sind es die vielen, reifen Tannine, die den Wein in der Evolution blockieren. Ich garantiere Ihnen aber schon jetzt, dass der 95er einmal zu den ganz grossen Mouton-Jahrgängen dieses Jahrhunderts zählen wird."
96: Fassprobe (18/20):
"Feingliedriges, subtiles Cassisbouquet, voller Finessen, aber weniger Aromatik als beim 94er, darunter eine feine, an Malaga und Portwein erinnernde Süsse, Schokolade. Im Gaumen füllig, viel Charme, weiche Tannine, die sich mollig mit dem Extrakt vermischen, viel Reife, die Säure ist eher weich (tief) und gibt dem Wein so eine an Chambertin erinnernde Fülle. Gleichzeitig ein unnahbarer Mouton mit schwer einzustufendem Alterungs- und Aromenpotential. Etwas später: Zum dritten Mal degustiere ich nun diesen Mouton 1995: Er ist zweifellos ein grosser Pauillac, der zugegebenermassen 19/20 Punkte erreichen kann. Es fehlt ihm allerdings die Ausstrahlung, welche die ganz grossen Mouton-Jahrgänge wie z.B. der 86er bereits aus dem Fass heraus zeigten. Vielleicht hat er aber auch jenes Syndrom, welches mich in letzter Zeit immer mehr beschäftigt: Ganz grosse Mouton-Jahrgänge hatte ich nämlich in der ersten Phase immer unterschätzt! September."
96: "Dieser Mouton erstaunt mich mit jedem Besuch immer mehr. Erst jetzt zeigt er nicht mehr diese bornierte Verschlossenheit, sondern setzte im September, als ich ihn mit einer Gruppe degustierte, klar auf blaubeerige Frucht; Cassis, Brombeeren, gepaart mit einem schön blumigen Akzent von Veilchen. Er ist eher schlank in der Nase, zeigt aber eine schöne Tiefe und eine erstaunlich saubere Geradlinigkeit. Im Gaumen ist das Extrakt prägnant mit der Adstringenz verbunden und hat eine noch leicht knochige Struktur, ist jedoch bedeutend massiver, als zu Beginn von mir eingeschätzt sowie von einer extremen Konzentration beseelt. Im Vergleich erinnert er eher an einen 86er als an einen 82er, wenn man wirklich von einem ganz grossen Mouton-Jahrgang ausgehen müsste. Je länger ich daran roch und immer wieder zum Bouquet zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, einen Hauch Orangeat in der Nase zu spüren. Im Moment bewegt er sich tendenziell immer mehr auf die 19/20 Punkte zu und strahlt eine Ruhe aus, die eine sehr lange Lagerfähigkeit attestieren wird. Arrivage (19/20): Völlig verschlossenes Bouquet, sehr tiefgründig, das Nasenaroma gleicht eher einem Latour und weist Trüffeltöne auf. Im Gaumen dicht, viel warmes Terroir, sanft trockene Tannine, Olivenpaste, Dörrpflaumen, langer Nachklang. Ein Mouton, der viele ungeduldige Geniesser zur Verzweiflung bringen wird. An einer Mouton-Probe im Jahr 2000: Das erste Mal, wo man wirklich sah, dass aus diesem Wein doch noch ein Spitzenwein werden kann. Was mich erstaunt, ist diese Rotbeerigkeit sowie dieser Mandeln-, Amarettiduft, was für einen Mouton ganz und gar nicht typisch ist. Und nochmals eine Notiz aus dem Jahr 2000 (19/20): Sehr dichtes, verschlossenes Bouquet, würzige Cabernet-Note, wirkt streng, fast etwas hölzern (Buchenholz). Im Gaumen fest, stark adstringierend, das Zahnfleisch beschlagend, ein herrliches Siel von roten und blauen Beeren. Ein massiver, korpulenter Wein, der aber auch eine gewisse Härte in sich birgt und im Moment wie eine Mischung aus einem ganz grossen Cos und einem legendären Vino da Tavola aus Sangiovese-Trauben wirkt. Also insgesamt ein atypischer Mouton, der erst in zehn Jahren aufzeigt, wohin die Weinreise geht. Potentialwertung, zwei Jahre später: Eine der tiefsten Farben aller degustieren Weine; Granat-Schwarz. Geballtes, druckvolles, momentan leicht leimiges und reduktives Bouquet, Backpflaumen, Mahagoni. Kompakter Body mit viel Reserven."
05: "Leider war die Flasche bei der Probe in München korkig, deshalb eine Notiz die wir vor 18 Monaten gemacht hatten: Sattes Purpur-Rubin, innen violett mit feinem Rand aussen. Komplexes, süsses Bouquet, feiner Vanille-, Bourbontouch, Malztöne, ein Hauch Curry und süsser, frischer Madeira, Lorbeer und gehackte Feigen. Stoffiger, fein ausgelegter Gaumen, sehr saftig in der Textur, eine unbeschreibliche Maulbeerensüsse, burgundisches, dickes Finale."
07: "Ein paar Mal im Glas. Zeigt zwar immer noch, dass er viel Alterungspotential aufweist und auch ein gewaltiges Paket an schwazrbeerigen Aromen in sich trägt, aber Warten ist die beste Devise Nur so wird man eines Tages auch begreifen, dass dies einer der unterschätztesten Moutons der neuen Zeit ist."
08: "Enktorkt, eingeschenkt und fast schon explosionsartig im Ansatz. Duftet irgendwie auch nach Massetto. Auf alle Fälle fraglos ganz gross."
09: "So langsam geht es zaghaft los. Er stand neben dem Rauzan-Ségla und dem Léoville-Barton in einer Serie im Waaghaus in Zürich und überragte die beiden erstgenannten locker."
10: "Ort: Restaurant Old-Swiss-House zum alljährlichen Mouton-Memory-Treff. Gleich zu Beginn musste ich gute und schlechte Nachrichten verkünden:
Die schlechte: Der 1995 Mouton korkte. Die gute: Philipp Buholzer hatte noch zwei Kisten in seinem Keller.
Die schlechte: Nicht im Restaurantkeller, sondern am anderen Ende der Stadt. Die gute: Trotz schlechtem Schneewetter war er bereit eine Flasche dort zu holen. Die schlechte: Er war mit seinem Motorrad da.
Die gute: Bereits nach einer Viertelstunde war er wieder zurück. Die schlechte: Er fiel direkt vor dem Restaurant im Scheckentempo auf die Schnauze. Die gute: Die Flasche Mouton 1995 blieb ganz. Den neuen Mouton 1995 dekantierten wir nicht und das rächte sich dann bei der Probe. Total verschlossen. (19/20)."
11: "Kompakt, gross und immer noch gewaltig verschlossen."
11: "Aus einer Jéroboam an der Geburtstagsfeier Georg Wolff. Komplett reduziert und fast bullig im Ansatz. Man hätte ihn wohl einen Tag zuvor an einem kühlen Ort lüften sollen. Wie man das macht bei einem solchen Grossbehältnis? Man nimmt einem Magnumkaraffe und füllt diese. Das ergibt dem Rest der Flasche eine breite Oberfläche, die genügend Luftzutritt zulässt. (19/20)."
11: "Das Nasenbild ist bombig, megakompakt und zeigt die parfümierte Mouton-Süsse mit viel Cakesfrüchten, Cassisblüten, Minz- und Eisenkrautnoten und schwarzen Johannisbeeren. Der Gaumen verlangt zwar nach weiterer Reife aber zum Sündenbock wird man nicht mehr abgestempelt, wenn man ihn jetzt schon öffnet. (19/20)."
15: "Magnum. Sehr dunkel und noch wenig gereift. Die Nase ist genial und den andern Pauillac – vom Power her – überlegen. Viel Mokka, schwarze Brotkruste, also viel dunkle Röstaromen, reife Pflaumen, darunter mit dezenter Mineralik. Insgesamt die volle Mouton-Erotik dokumentierend. Im Gaumen fleischig, feste, mollige Tannine, viel dunkle Schokolade, die Konzentration ist gewaltig und doch bereitet dieser Mouton ersten, schon fast ausufernden Spass. Ich war hin und weg! Gerade diese Magnum zeigt das enorme Potential für mindestens drei weitere Dekaden! Es war mir bisher nicht bewusst, dass dieser Mouton eine derartige Konzentration aufweist. Da sind noch gewaltig viele Reserven drin. (19/20)."
16: "Zwei leicht unterschiedliche Flaschen auf Doisy-Védrines bei einem Lunch. Die bessere lag bei: 19/20."
16: "Momentan könnte man ihm mit einem Maremma-Toskaner verwechseln Orneillaia lässt grüssen. 16: Eine Bombe. Er war um Einiges voller als der schier filigran würzige 1996er Mouton danben. Mir gefallen beide Stilrichtungen. (19/20)."
18: "Sattes, dunkles Granat, nur am Rand zart aufhellend und eine feine, erste Reife anzeigend. Das Bouquet ist süss, parfümiert, zeigt Dörrfrüchte, Edelhölzer und Nuancen von dominikanischem Tabak. Im zweiten Ansatz herrliche Mokkatöne und Backpflaumen, sowie Kräuternoten. Im Gaumen satt, stoffig und sehr fein gewoben. Will heissen, die Tannine haben sich in den letzten Jahren permanent verfeinert. Da ist viel grosse Harmonie vorhanden. Momentan befindet er sich grad so in der Zwischenphase zwischen abklingender Frucht und erster Terroiranzeige. (19/20)."
René Gabriel 19/20
Quelle: www.bxtotal.com