Château Angélus oder „Der Übersteiger“

Das Wesen der Hierarchie bedingt die abnehmende Sauerstoffsättigung auf dem Weg nach oben. Wenn etwa Randy Newman davon singt, dass es oben „ganz einsam“ sei, ist das ein Hinweis darauf, dass der ungestörte Horizont bisweilen nicht nur vorteilhaft ist.

Château Angélus, das eine ganze Armada an Glocken aufzubieten vermag, um ein Geläut anzustimmen, das dort, wo die hiesige Semantik ihrer Schlüssigkeit beraubt ist, nur zu gerne vernommen wird, hat sich, wie zuvor schon die Inauguralmitglieder des exklusiven Clubs „derer mit A“ Ausone und Cheval Blanc, aus der Toploge in Saint-Emilion zurückgezogen. Das ist zunächst erstaunlich, denn offensichtlich gipfelte das dortige Bestreben, in den „innermost circle“ aufgenommen zu werden, tatsächlich 2012 mit der Heraufstufung des vormaligen 1er Grand Cru Classé B zum A.

Nach einer Dekade, die das Weingut dazu nutzen konnte, seinen Ausgabepreis (en primeur) von € 180,- im Jahr 2012 auf € 265,- im letzten Jahr anzuheben, hat sich Angélus aus eigenen Stücken aus der Klassifizierung zurückgezogen.

Château Angélus, Foto © Matthias Hilse

Betrachtet man die historischen Zusammenhänge, so ist nun eine Situation entstanden, in der der Kaiser aus Saint-Emilion nackt dasteht. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Angélus die Klassifikation in Saint-Emilion instrumentalisiert hat, um sie durch Transzendieren zu De-Konstruieren.

Sollte es einen Masterplan hinter den Geschehnissen gegeben haben, dann ist jede Leinwand zu klein für das große Kino, das sich da gerade ereignet. Gestern hat Angélus seinen Preis für den exzellenten Jahrgang 2022 publiziert: er liegt bei € 350,- und damit beinahe doppelt so hoch, wie eine Dekade zuvor.

Nun darf gerätselt werden, was die beiden 1er Grand Cru Classé A einerseits und die Glücklichen, die in 2022 eine vergleichbare Qualität zu Angélus geliefert haben, andererseits, mit ihren Preisen machen.

Das Signal, das mit dem Jahrgang 2022 von Château Angélus gesandt wird, ist: es gibt einen Horizont jenseits der hierarchischen Ordnung, in dem die Preise der  Fliehkräfte enthoben sind. Der Pomerolisierung Saint Emilions, an der einstmals die Garagenweine noch scheiterten, haben sich nun die ins freiwillige Exil Entorteten erfolgreich angenommen.

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Nach dem Farblosen Freitag

Heute, am Tag danach, möchte ich einen Begriff, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn hier überhaupt ausschreiben darf, und den Irrtum, der in seiner Verwendung liegt, kurz umschreiben. Ich möchte dies tun, weil die vermeintliche Intrinsik dem Wesen seiner Prädikation widerspricht – und: weil wir sowohl bei AUX FINS GOURMETS als auch bei WEINBOTSCHAFT.DE bei der Bildsetzung unserer Weine mit einer schwarzen „Abwesenheitsumgebung“ den Weinflaschen überhaupt erst die Bühne geben, die sie aufgrund ihrer emotionenstiftenden Potenz verdient haben.  Ich fühle mich also quasi von jeh her der Farbe schwarz verpflichtet, und möchte hier einen Prolog, den Sie sonst nur als „Gourmetbriefempfänger“ zu lesen bekommen, anfügen:

Stufen der Erleuchtung © MATTHIAS HILSE

Die Farbe Schwarz trägt ein disparates Potpourri an unterschiedlichen Konnotationen in das ihr zutiefst eigene Nichts. Wenn wir etwa sagen, „wir sehen schwarz“, könnten wir jenseits des Bildhaften auch sagen „wir sind blind“, denn anders als beim Schwarzfahren, das nur bedingt folgenlos bleibt, ist das Schwarzsehen weder erhellend noch konsekutiv.

Nirgendwo manifestiert sich das Nichts-an-Sich besser als im Schwarzsein, und wenn man auch nicht Nichts denken kann, entfällt in konsequenter Schwärze der Raum – und nur die Zeit bleibt unberührt.

Wenn nun seit einigen Jahren die Farbe Schwarz fröhliche Urständ an jeweils einem Freitag im November feiert, dann kulminiert die Visualisierung von Nichts im Diktat der Zeit: JETZT  entdinglicht sich der Preis vom Wert.

Schon das Inauguralkunstwerk des Suprematismus, Kasimir Malewitsch’s „Schwarzes Quadrat“ bediente sich des Abhandenseins von Farbe, um in der Loslösung von Formen das Intelligible zu symbolisieren.

Der schwarze Freitag ist in Zeiten, in denen man „einen schwarzen Schwan“ in sein Vokabular aufnimmt, ein Manifest der Verwirkung seines Prädikats, das sich hier gerade unsuprematistisch materialisiert.

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Bordeaux Subskription 2019

oder das Bild von den saufenden Pferden

In der Bordeaux Subskription 2019 manifestiert sich, worauf die meisten, die diesem Thema mit Interesse zugetan sind, schon lange gewartet haben: ein wiederum großer Jahrgang erfährt die Gunst deutlich nachlassender Preise.

In den Diskussionen darüber, wie ein solches – eigentlich ziemlich unwahrscheinliches – Szenario Wirklichkeit werden könnte, spielten immer solche Begriffe wie „Krise“, „Platzen einer Blase“ oder „Rezession“ eine Rolle. Das Missverhältnis zwischen dem verfügbaren Angebot und der zu erwartenden Nachfrage ist die Achillesferse des Bordeaux-Geschäfts, seitdem in einer globalisierten Welt kaum noch neue Märkte aufgetan werden können und die Anzahl großer Jahrgänge die Lagerkapazitäten auch der sammelfreudigsten Bordeauxkunden an ihre Grenzen bringt.

Chateau Palmer

Die Negociants, die über viele Jahre die Gewähr dafür trugen, die nicht an den Handel zu vermittelnden Weine in ihren immer größer werdenden Lagerhallen einzulagern, sind nun ebenfalls an ihr Limit gelangt, so dass, um im Bild von Wasser und seiner Bevorratung zu bleiben, der Stausee „bordelaiser Großhandel“ keinen weiteren Zulauf verträgt.

Nun dürfte gewiss sein, dass gerade die Weingüter, deren Erzeugnisse den Motor einer Subskriptionskampagne bilden, am ehesten einen Einbruch ihres cash-flow in Form einer nicht stattfindenden (oder verschobenen) Subskription verwinden könnten. Diejenigen Chateaux aber, die nicht genügend Fortüne hatten, ihren Marktpreis ausreichend weit von ihren Gestehungskosten zu setzen, dürften zum Teil sehr wohl auf eine erfolgreiche Subskriptionskampagne angewiesen sein.

Nur unter der Annahme einer gewissen Solidarität am Place de Bordeaux erhellt sich das Bild, das sich dem Subskriptionsbeobachter aktuell bietet: gerade die ersten Adressen, wie heute z.B. Chateau Mouton Rothschild oder gestern bereits Chateau Cheval Blanc oder Palmer und Pontet Canet ganz am Beginn der Kampagne, die alle ihre Preise gegenüber der letzten Saison um ca. 30% reduziert haben, machen Ihren Kunden ein Angebot, das diese eigentlich nicht ablehnen können.

Als man noch Verkosten konnte vor Ort: Pontet Canet

Nun hat aber die Zuweisung des Begriffs „Kunde“ so seine Tücken, denn eigentlich ist der Endverbraucher, den es immer braucht, um eine Ware in einem Markt fest zu platzieren, aus Sicht der Erzeuger der Kunde eines Kunden eines Kunden.

Wenn die Annahme richtig sein sollte, dass die Aufnahmekapazität für den neuen Jahrgang 2019 am Place de Bordeaux momentan sehr begrenzt ist, dann braucht es Preise am Markt, bei dem der internationale Handel sozusagen für die Negociants in die Bresche springt und die angebotenen Weine (zu großen Teilen) übernimmt.

Anders als bei den Negociants, die jeweils „nur“ Händler als Kunden haben (reines B2B-Geschäft), ist das Geschäft des Handels viel kleinteiliger. So dürften auf einen Negociant im besten Fall ein paar Hundert Händler kommen, auf jeden Händler, der im Subskriptionsgeschäft tätig ist, aber jeweils mehrere Tausend Kunden.

Chateau Cheval Blanc

Da in diesem Jahr, sofern ich mit meiner Einschätzung richtig liege, ein indirektes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Erzeugern und den Händlern gegeben ist, braucht es von den Chateaux eine Art geniale Steilvorlage, so dass der Handel nur noch „vollenden“ muss.

Aber genau hier liegt das mögliche Problem. Ob der Endverbraucher es als eine einzigartige Chance begreift, mit der Subskription 2019 große Bordeaux zu sehr raisonablen Preisen einkaufen zu können, wird sich erst im Laufe der nächsten Wochen zeigen.

Für den Privatkunden ist die Situation komfortabel: bedingt durch die Corona-Einschränkungen gibt es bisher nur sehr vereinzelt Kritikermeinungen zu den Weinen. Kauft man normalerweise als Kunde bei der Subskription in der Hinsicht die „Katze im Sack“, dass man den Wein nicht selbst verkosten kann, handelt es sich beim Jahrgang 2019 um einen „Sackkauf im Sack“. Die Potenzierung der Unschärfe in der Meinungsbildung ringt den Erzeugern quasi die Einwilligung ab, eine Kaufoption deutlich unter ihrem inneren Wert zu verkaufen. Man kann die Situation auch so sehen: da sich mit der Primeurkampagne 2019 eine Substitution des Negociants durch den Händler ereignet, geben die Chateaux die „eingesparte“ Leistung als Rabatt mit einem zusätzlichen Bonus für das Fehlen der normalen Kritikerszene an den Endkunden weiter.

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Chateau Pontet Canet 2019

oder: Ein Finale zum Auftakt

Man liest dieser Tage oft, nach der Corona-Krise sei vieles anders als zuvor. Nun muss ich garnicht einen bereits ausgetrampelten Pfad beschreiten und in einen Chor mit einstimmen, um festzustellen, dass bei Pontet Canet fortan vieles anders sein wird, auch ganz ohne Corona.

Denn Chateau Pontet Canet, wie wir es seit nunmehr mehr als 20 Jahren kennen, verliert mit dem Weggang von Jean-Michel Comme nicht nur seinen Regisseur, sondern auch den Mastermind hinter der Philosophie, aus einem einfach nur sehr großen Pauillac-Weingut den Protopauillac schlechthin zu formen.

Pontet Canet in partieller Unverborgenheit

Die Familie Tesseron war früh schlau genug, das Potential des konsequenten Andersdenkers zu erkennen und ihn langfristig an das Weingut zu binden. Wenn Jean-Michel nun nach 31 Jahren der Zusammenarbeit seinen Abschied aus den Diensten von Pontet Canet erklärt, dann tut er dies auf dem Höhepunkt seines Schaffens und ziemlich genau 10 Ernten nach seinem Geniestreich, im zweiten Anlauf mit dem monumentalen Jahrgang 2010 (dessen Perfektion gerade wieder vom Wine Advocate bestätigt wurde) die vormaligen Lacher auf seine Seite zu ziehen und zu Eklektikern zu machen.

Ich kann die Qualität des Jahrgangs 2019, der überraschend in dieser Woche zu einem noch überraschenderem Preis an den Markt gekommen ist, noch nicht aus eigenem Urteil ermessen (meine Verkostungsnotiz wird folgen). Nach meinen intensiven Erfahrungen mit den Weinen von Pontet Canet über die letzten 15 Jahre bin ich aber zuversichtlich, dass die verheißungsvollen Melodien, die ich an den bisherigen Fassmustern aus 2019 vernehme, einen Pontet Canet 2019 auf die Bühne bringen werden, der all die schönen Anlagen des Jahrgangs zu einem Konzert auf allerhöchstem Niveau und zu einer umwerfenden Harmonik zusammengefügt zeigen wird.

Melanie Tesseron bei der Vertikalprobe im METAMORPHEUM

In der Retrospektive wird man Kritiker vernehmen können, die Pontet Canet 2019 als Meisterstück und den Höhepunkt der Epoche der Biodynamiewerdung Bordeaus feiern werden.

Aber auch ganz ohne hinzugebettete Allüren ist der Pontet Canet 2019 mit seinem Preis von deutlich weniger als einem 4-stelligen Eurobetrag für die 12er Kiste eine Ansage, die viele Hoffnungen bestärkt und andere Erzeuger in diesem Jahr unter Druck setzen wird.

Vielleicht möchte die Familie Tesseron mit ihrem fast unerhörten Angebot des Jahrgangs 2019 Jean Michel Comme ein besonderes Abschiedsgeschenk machen, indem so viele Kunden wie möglich dazu gewonnen werden, bei dem späteren Genuß des Weins ein „santé“ auf seinen Hervorbringer anzustimmen.

Ich jedenfalls würde all denen raten, die sich gerne das Resultat einer langen Entwicklungsgeschichte in der Form einer Akme verinnerlichen möchten, dem Pontet Canet 2019 gegenüber nicht achtlos zu sein, selbst wenn er als ein „no-brainer“ auch Facetten der Alltäglichkeit zeigt.

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Bordeaux Subskription 2019

Verletzte Eitelkeit mit altruistischer Komponente

Das zweite Quartal ist für Weinhändler in Jahren, in denen die Subskription eine Rose ist (s.hierzu https://www.aux-fins-gourmets.de/blog/2016/04/21/ist-eine-subskription-eine-subskription-eine-subskription/) ein Archipel der Alternativlosikeit: entweder, man involviert sich bedingungslos am Gedeihen der Zentripetalkraft eines Hamsterrads, oder die Subskription inferiorisiert den Mitläufer zu einem willfährigen Opportunitäsgewährer.

Die Einschätzung der Frage, ob die Subskription 2019 eine Subskription sei, beruht auf Voraussetzungen, die in diesem Jahr durch die Unpäßlichkeit der Fassmuster, verkostet werden zu können, nicht gegeben sind.

Primeurausblick 2019 oder Full Moon over Neckarstreet

Unabhängig davon aber, ob eine imponderabilienbewährte Subskription 2019 das Zeug hat, die interessierten Gemüter zu bewegen, darf man davon ausgehen, dass der Jahrgang insgesamt von äußerst hoffnungsvoller Signatur ist.

Die Corona-Pandemie bringt natürlich auch in Bezug auf Bordeaux so ziemlich alles durcheinander, so dass die Primeurs im April nicht stattfinden konnten und nach wie vor nicht richtig klar ist, welche Weingüter Muster versenden und welche nicht.

Bei Heiner Lobenberg lese ich auf seinem Blog, dass „Kleinstbetriebe ein perfekter Seismograph für die Qualität eines Jahrgangs“ sind. Meine eigene Erfahrung führt zu einer eher opponierenden Schlußfolgerung: die großen Terroirs zeigen das Leistungspotential eines Jahrgangs und sind daher die Meßlatte, an der die anderen Qualitäten „abgetragen“ werden.

Da aber die großen Terroirs keine Muster versenden, muss die nötige Calibrierung, die die einzelnen Qualitäten in Relation zu einem relativen Maximum setzt, ausbleiben.

Wenn ich Ihnen nun von meiner Zuversicht berichte, Ihnen mit der in der nächsten Woche „richtig“ beginnenden Primeurkampagne 2019 einen Jahrgang von allerhöchster Delikatesse vorstellen zu dürfen, möchte ich erwähnen, dass ein erster nennenswerter und über diverse Appellationen hinweg homogener Eindruck nur durch die Solidarität von Thomas Boxberger, der kurzerhand Michael Gimm und mich zu sich nach Mannheim zum Verkosten von Mustern, die ihm aus Bordeaux zugesandt worden waren, eingeladen hatte, zustande kommen konnte.

Thomas Boxberger, Michael Grimm und Matthias Hilse beim Verkosten

Schaut man jenseits der eigenen Befindlichkeit auf die Situation, so könnte die Subskription 2019 gerade aufgrund der vermaledeiten Umstände ihrer Inverkehrbringung ein Momentum bekommen, das sie wirklich interessant macht.

Natürlich tangiert es meine Eitelkeit, dieses Jahr eben nicht die großen Weine aus Bordeaux als Fassmuster verkosten zu können; schließlich sind die Variationen über das Thema „Spucken“ der Motor dafür, mich nachfolgend semantisch mit der Transformation von Sinneseindrücken in Sprachbilder zu beschäftigen.

Die Erfahrung mit ausreichenden Fassmustern in den letzten Wochen zeigen aber auch, dass viele Muster zu instabil sind, den erschütterungsreichen Transport vernünftig zu überstehen.

In der Abwägung zwischen der reinen Vermittlung eines Eindrucks und dessen nachhaltiger Wirkung als Testimonial dürften sich gerade diejenigen Erzeuger, die in den letzten Jahren ihr Leistungsversprechen perfektioniert haben, eher reserviert zeigen, während die anderen, die unbedingt eine Plattform für Publizität benötigen, hier eher spendabel sind.

Den Musterverweigerern dürfte dabei durchaus bewußt sein, dass Ihre Strategie der Exklusion zwei notwendige Bedingungen involviert, ohne die die Subskription 2019 schwerlich erfolgreich sein kann: die in den Markt gegebenen Mengen müssen defensiv sein und die Preise einen deutlichen Abschlag zu den Referenzjahrgängen 2016 und 2018 haben.

Zeichen partieller Aufhellung

Ich höre aus Bordeaux, dass es von einigen Erzeugern sehr attraktive Offerten geben soll. Es bleibt zu hoffen, dass genügend Erzeuger willens sind, aus einer in ihren Grundfesten erschütterten Subskription ein Ereignis zu machen, auf das wir alle schon seit vielen Jahren warten: auf eine Preisbaisse in einem Qualitätshoch.

Nicht versäumen möchte ich es, hier bereits einen ersten „Coup de Coeur“ auszuloben: Chateau de Pressac 2019 ist grandios gelungen und wird auf jeden Fall zu meinen besonderen Empfehlungen gehören.

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Wo sind sie denn oder: Merkmale falscher Verwurzelung

Eine Sache wie die Bordeaux-Subskription, deren iteratives Grundschema darauf ausgerichtet ist, die jeweilige Neuauflage eines in seiner Stilistik vertrauten Weins im Rahmen eines kreditinduzierten Termingeschäfts an den Markt zu bringen, lebt zunächst einmal von der allgemeinen Bekanntheit seiner „Marke“, die Motivation für die Neugierde auf den neuen Jahrgang ist.

Filigran entwurzelt – Foto © Matthias Hilse

Da schon aufgrund der Disintegration des Zinses eine materielle Opportunität durch das Fehlen von Diskontfaktoren nicht mehr gegeben ist, muss also die Fantasie, ein knappes Gut rechtzeitig „eingedeckt“ zu haben, als Movens für die Kaufentscheidung dienen. Nur wenn sich der Bezugspreis während der Subskription ändert, ist diese sinnvoll.

Ähnlich einem Mythos, dessen Geltungsanspruch auf Verifizierbarkeit ihm ebenso wesenhaft ist, wie die Notwendigkeit seiner „Tradition“ – ergo seiner Verfügbarkeit, riskiert ein Wein, dem Umstand des Sagenumwobenen obsolet zu werden durch seinen Rückzug in die Verborgenheit.

Bordelaiser Kurvendiskussion – Foto © Matthias Hilse

Nun sind die Akteure am Bordeaux-Primeurmarkt gerade in besonderem Maße mit dem Phänomen der Unauffindbarkeit einiger von der Sache her garnicht so raren Weine befasst, denn besonders die Inkunablen, von deren prinzipieller Sichtbarkeit – sprich: merkantiler Verfügbarkeit – die Fantasie der Subskription lebt, scheuen immer mehr die Öffentlichkeit, die aber ein Grundprinzip eines funktionierenden Marktes ist.

Traditionelle Verankerung – Foto © Matthias Hilse

Man möchte den Eigentümern dieser Verborgenheitselite gerne zurufen, dass es so etwas wie eine Verantwortung gerade derjenigen, die in der Lage sind, Begierden zu evozieren, dem Gemeinwesen, also der Summe der Marktteilnehmer gegenüber, gibt. Denn nur in der Ausprägung des Sozialen von der Spitze her, wo die „Onioepithymia“ Freiräume sorglosen Entledigtseins schafft, rechtfertigt sich das Engagement der „Wasserträger“ für die Instanthaltung eines Marktes, ohne den die Mythen dem gnadenlosen Erosionsprozess des Vergessenwerdens ausgesetzt sind.

Interferierende Partystimmung – Foto © Matthias Hilse

In einem Geschehen, das wesenhaft im Begriff des Terroirs die Bedeutung des Verwurzeltseins hervorhebt, zeugt es von besonderer Ignoranz, inert zu sein für die Belange der Reziprozität von Geben und Nehmen.

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Chateau Batailley 2018: eine Hommage an die Appellation Pauillac

Wer aus dem Jahrgang 2018 den Pauillac herauspicken möchte, der die ideale Verkörperung der Appellation aus der Konjunktion der Parameter Typizität, Tannineleganz, Rasse, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit verkörpert, der kommt an Chateau Batailley nicht vorbei. Es ist schon beachtlich, mit welcher Verläßlichkeit hier in den letzten Jahren Weine entstanden sind, die feine Werbeträger für die Nachricht sind, dass Bordeaux auch in Bezug auf das Preisgefüge (für die Haltbarkeit ohnehin) keinen Vergleich zu scheuen braucht.

Natürlich kommt dem Batailley zugute, dass mit dem Kauf des Nachbarn Haut-Batailley durch die Familie Cazes vor ein paar Jahren die eigentliche Peer-Gruppe kleiner geworden ist und man andernorts (Pedesclaux, Haut Bages Liberal) weniger um die Terroirverortung bemüht ist.

Chateau Batailley, Foto © Matthias Hilse

Fast scheint es, als wäre dem Batailley 2018 das Rampenlicht, das ihm ob seiner herausragenden Erscheinung gebührt, doch ziemlich peinlich, und so muss man als Verkoster etwas Geduld mit ihm haben, bis er nach einem ersten Hauch dunklen, schwarzen hochreifen Beerendufts die in feinster Anmutung skizzierte Vedoute eines Pauillac an sich mit den prototypischen Ingredienzen wie Minze, Tabak und Graphit hervorbringt. Der noble Gaumenfluss, dem eine archetypische, in den Pianissimosphären der Fruchtextraktion domizilierte Tannineleganz zugrunde liegt, erfährt seine Spannung aus der über einem fast seduktiven, extraktsüßen Fruchtkern aufsteigenden Woge mineralischer Frische. In einem langanhaltenden, nachdrücklichen und fruchanimierten Finale verabschiedet sich dieser Pauillac par excellence.

Matthias Hilse 95-97 Punkte

Subskriptionsindex 20/20

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Bordeaux 2018 und die Renaissance des Stammelns

Einem Weinrezensenten geht es zunächst auch nicht anders als einem Musik- oder Literaturkritiker. Denn hier wie dort gilt es, sinnlich Wahrgenommenes nach einigermaßen allgemeingültigen Kriterien subjektiv zu beschreiben und in Form eines Urteils Empfehlungen oder Ratschläge zur Distanzierung auszusprechen.

Dem Weinkritiker jedoch, der eigentlich auch dem Gebot „Du sollst Sinnlich-Rezeptives nicht Quantifizieren“ Folge leisten sollte, ist seit der Reconquista Europas durch die Inch-und-Gallonenbarden unter dem Oberbefehl des späteren Hegemon über die weltweite Weinkritik, Robert Parker, als die in der alten Welt gebräuchliche Stammelei in Pünktchen und Sternchen dem Benotungsschema amerikanischer Erziehungseinrichtungen weichen musste, um ausgerechnet dort, wo man das metrische System am allerwenigsten gebrauchen kann, um sich mitzuteilen, eine folgenreiche Kolonialisierung derart widerfahren, seinen Beurteilungsobjekten feste Plätze in der Sphäre quantitativer Verortung zuweisen zu müssen.

Andererseits: wie soll das gehen, bei einem solchen Großereignis wie den Primeurverkostungen in Bordeaux, während der alljährlich von der spuckenden Zunft Hunderte von Faßmustern zu beurteilen sind, Ordnung anders zu stiften als in der Kartographierung nach Punkten? Denn während der Weinkritiker während der Primeurs etwa 100 Muster pro Tag zu begutachten hat, würde man Gleiches weder von den Ton- noch von den Buchstabenrezensenten erwarten – alleine schon, weil es unmöglich ist.

Wer käme etwa auf die Idee, die rezenten Einspielungen der Goldberg-Variationen von Levit und Tharaud mit Punkten zu bewerten und in numerischer Attribution in Beziehung zur Benchmark aus dem Jahr 1955 zu setzen? Wäre hier nicht der kurze Atem der Notation eher dem Eintauchen in die große Seele der bachschen Variationsmystik, die natürlich sowohl unterschiedliche Interpretationen zuläßt als auch variierende Resonanzen beim Hörer auszulösen vermag, hinderlich in Sinne vorauseilender statischer Fixierung?

Geht man in die Zeit zurück, als Parker der Coup gelang, den metrischen Natives in Europa ihr ureigenstes Werkzeug, das auf Wein anzuwenden sie sich aber versagt hatten, zurückzubringen, dann fällt Folgendes auf: die Disparität zwischen der historischen Einordnung und der seinerzeitigen Qualität der Weine (wenn man hier für das Medoc die Klassifikation von 1855 zugrunde legt) war so gravierend, dass es schlicht eines Ordnungsschemas bedurfte, um den Konsumenten sicher durch das von bitterer Mediokrität flankierte Feld des Bordeauxangebots zu führen.

Schaut man heute, knapp 40 Jahre nach der parkerschen Rückeroberung der Deutungshoheit in die Sphäre des quantitativ Bestimmbaren, auf „Bordeaux en Primeur“, so fällt zunächst eines auf. Von den ca. 10.000 Weingütern in Bordeaux schaffen es aktuell nur etwa 600, über den „Place de Bordeaux“ und damit mithin in Subskription verfügbar zu sein. Sieht man von den paar Ausnahmen um Chateau Latour herum ab, deren Abwesenheit selbstinszeniert ist, ist die Handelbarkeit eines Weins alleine schon Merkmal seiner Güte. Niemand braucht Bedenken zu haben, hier einen qualitativ minderwertigen Wein „untergejubelt“ zu bekommen.

Mit der Ökonomisierug aller Lebensbereiche und dem damit einhergehenden Bewusstsein für den Wert von Marken gibt es aktuell in Bordeaux z.B. keinen „Grand Cru Classé en 1855“ mehr, dessen neuerliche Ernteauswürfe nicht zumindest den Grad seiner Klassifierung wiederspiegelten. Oftmals, wie beispielsweise bei Lynch Bages und Pontet Canet, liegt die Qualität deutlich über dem Adelsrang.

Wenn in der neuen Welt jede neue Ernte zum Testimonial für die Marke wird, dürfte der Erzeuger so lange, wie er sich das leisten kann, den bestmöglichen Wein abfüllen. Denn der Wert der Marke sichert ihm gleichbleibende Nachfrage zu.

Wer heute z.B. Montrose, Haut Bailly, die Leovilles et al. kauft, kann sicher sein, das jeweils Bestmögliche in der Flasche zu haben. Im Gleichlauf der Ergebnisse und in der Prognostizierbarkeit der Qualitäten wird die Aufspreizung der Kritikerschar, wie man es seit dem Rückzug von Robert Parker beobachten kann, obsolet. Denn: haben Sie schon einmal versucht, einer Verkostungsnotiz von Jancis Robinson, Neal Martin, James Suckling oder auch von Quarin und Leve einen bestimmten Wein zuzuordnen? Ja, weiß man denn überhaupt, ob nur ein Fassmuster beschrieben wird oder Anhaltspunkte für das Erscheinungsbild des Weins in der Reife zu finden sind?

In diesem Sinn könnte der Jahrgang 2018, dem der kleine Makel anhaftet, durch Sprachermüdung und der großzügigen Zuweisung von Elativen und Superlativen in den Vorjahren, nicht hinreichend Distinktionsreserven auf sich ziehen zu können, den Weg weisen zu einer Renaissance des Stammelns in Pünktchen und Sternchen – denn etwas anderes sind die meisten Rezensionstexte ohnehin nicht.

Wüsste ich nicht um die Irrealität meiner Gedanken, würde ich meinen, die Bühne der großen Weine aus dem Jahrgang 2018 sollte ein Ereignisraum semantischer Parität mit der Brillanz der besten Weine sein. Wenn aber dem großen Wurf die Ausprägung verwehrt bleibt, dann ist der Inhalt des Markenversprechens Eins mit den 5 Sternchen, die man weiland für die gleiche Aussage bemüht hat.

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Chateau Montrose 2018

So, als läge im topographischen Befund „ganz weit oben“ im Medoc ansässig zu sein, die besondere Verpflichtung, in hierarchaler Analogie einen Wein zu präsentieren, der den Blick barrierefrei nach oben in die Stratosphäre hat – dorthin, wo die anderen ewigen Bordeauxlegenden aus den Zeiten, aus denen diese gerade noch nicht aus Saint Estephe kommen konnten, ihr Sein in akkumulierender Vergänglichkeit verbringen, steht der Montrose 2018 in einer ihm weithin nicht gewachsenen Welt.

Der Wein des Jahres: Chateau Montrose 2018 – Foto: Matthias Hilse

Als hätte es genau der Umstände bedurft, die andernorts die Grenzen des „dann doch zu viel“ sprengten, waren die Tanninbaumeister um den premierserfahrenen Herve Berland offensichtlich perfekt in der Lage, das Steuer der balancierenden Entsagung in einer Situation, in der die volle Orchestrierung in den klimatischen Begleitumständen unweigerlich Grenzüberschreitungen auch ins Glas bringen würde, à point durch die Wogen der Unwägbarkeit zu führen.

Der Montrose 2018 ist der Inbegriff eines nach allen Regeln der Symmetrie und Harmonie aufs Feinste ziselierten Monolithen, der weit in den Horizont hineinragt und in seiner in Amplituden gedachten Überragung bisherig wahrgenommene Perfektion in Frage stellen wird. Was schon in den Jahrgängen 2014 und 2016 angeklungen war, die Enthebung der Premier Crus aus der Verpflichtung, neben der besseren Marke auch noch den besseren Wein markieren zu müssen, wird in 2018 zu einem Defilee eines klassenüberragenden, in monumentaler Ausgewogenheit allen und allem entschwebenden Schwergewichts von stupender Kompexität und atemberaubendem Affizierungspotential.

Betrachtet man dabei die drei Protagonisten im Ringen um die Frage, wer der schönste Saint Estephe sei, so ist der Montrose der Souverän, der ob seiner unangestrengten Übersicht alles im Blick hat, während der Cos d’Estournel leicht kraftzehrende Anstrengungen unternehmen muss, sich ins rechte Licht zu rücken – und der Calon Segur der Versuchung, den Alkohol dabei zu seinem Komplizen zu machen, nicht ganz widerstehen konnte.

Montrose 2018: 100 MH-Punkte

Cos d’Estournel 2018: 96-98 MH-Punkte

Calon Segur 2018: 96-98 MH-Punkte

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Ad rem: Fassmusterbeschreibung

Sofern ich den Markt der Kritikereinschätzungen richtig überblicke, setzen sich die Beschreibungen von Fassmustern während der Primeur-Degustationen meist mit dem Bild auseinander, das der Wein im Moment der Ingaumennahme im Geiste des Verkosters entwirft. Dabei spielt jedoch gerade die Rezeption der ephemeren Erscheinungen eine überragende Rolle, also exakt derjenigen Primäreigenschaften, deren Transformation während der Reife des Weins in Sekundär- und Tertiäraromen die Frage erlauben sollte, ob denn dem Leser damit geholfen sei (bei der Entscheidung für oder wider einen Wein), zu wissen, wie das Fassmuster schmeckte.

Da ich der Meinung bin, ein deutungswerter Bordeaux verdiene eben mehr als die Aneinanderreihung von Fruchtnoten und die Ergötzung in der Frage, ob die Kaffeearomen eher peruanisch oder bolivianisch angehaucht sind – ja, da ich seinen Genuss eher mit dem eines Konzertabends oder dem Lesen eines weisheitbewährten Buches vergleiche, versuchen meine Beschreibungen, eine der Intensität und Komplexität der Wahrnehmung angemessene Sprache zu finden. Es geht dabei in keinem Moment darum, Ihnen ein Fassmuster so zu beschreiben, wie ich es wahrgenommen habe.

Was sollten Sie damit auch anfangen? Meine semantischen Auseinandersetzungen mit einem Wein, den es so, wie ich ihn verkoste, später garnicht zu kaufen geben wird, setzen im besten Fall bei Ihnen Assoziationen frei, deren archetypische Fixierung in meinen Sprachbildern ihre Bindungshoheit durch Ihre persönliche Einlassung verliert und in den Einflußbereich Ihrer eigenen Kreativität und Fantasie übergeht.

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