Bordeaux Subskription? – Ein Feld für prognosefeste Verkoster

Anders als in fast allen Weingegenden der Welt, werden Bordeauxweine als Faßmuster verkostet, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Weine noch nicht abgefüllt sind. Da Bordeauxweine schon zu Zeiten, als es den Begriff „Globalisierung“ noch garnicht gab, überwiegend exportiert wurden, etablierten sich sehr früh Handelsbeziehungen zwischen den Erzeugern, den Chateaux, die zumindest im Médoc häufig tatsächlich Schlosscharakter haben, und den Händlern, die für die Geschäftsabwicklung und den Transport Sorge trugen.

Primeurs 2013 auf Chateau Marquis de Terme, Foto © Matthias Hilse

Primeurs 2013 auf Chateau Marquis de Terme, Foto © Matthias Hilse

Da man vermuten darf, dass über einige Jahrhunderte hinweg der Transport in Fässern üblich war, kam dem Wesen der Faßprobe – schließlich wollte der Händler die Qualität der eingekauften Ware beurteilen – schon früh eine maßgebliche Bedeutung zu.

Insofern wird heute mit den sogenannten Primeurverkostungen, die alljährlich um den ersten Quartalswechsel des der Ernte nachfolgenden Jahres an unterschiedlichen Orten in und um Bordeaux herum veranstaltet werden, eine überaus geschichtsträchtige Usance tradiert. Nur geht es heute nicht mehr darum, aus verschiedenen Fässern der gleichen Ernte das ansprechendste auszuwählen, sondern darum, Prognosen über das Entwicklungspotential der Faßware zu formulieren.

Dies ist die besondere Eigenheit, die Bordeaux von anderen Regionen unterscheidet: dem Endverbraucher, der den Bordeauxwein in Subskription von den Händlern seines Vertrauens erwirbt, bleibt der Zugang zu den Verkostungstempeln verwehrt.

Der Bordeauxhändler hat also, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die sich vornehmlich um bereits abgefülltes Lesegut kümmern, eine besondere Vertrauensposition: die eines „Scouts“, der die inneren Anlagen der Faßmuster, die für den ungeübten Spucker leicht alle gleich bis sehr ähnlich schmecken, auf ihr Entwicklungspotential zum Zeitpunkt der Genußreife hin beurteilt, und als Vertrauensperson, der man ein Budget zuweist, dem über den Zeitraum von etwa zwei Jahren nur ein Anspruch auf Auslieferung des weingewordenen Gegenwerts gegenübersteht.

Verkostung auf Chateau Margaux im April 2014, Foto: © Matthias Hilse

Verkostung auf Chateau Margaux im April 2014, Foto: © Matthias Hilse

Man müsste eigentlich annehmen, dass, gemäß des Anforderungsprofils, das andere Kompetenzen voraussetzt, die Handelsaktivität des Bordeauxhändlers (in Subskription), ökonomisch attraktiver ist als die bei vergleichbarem Tun mit bereits lieferbaren Weinen. Wenn dem aber gerade nicht so ist, könnte es aufschlussreich sein, sich mit den möglichen Ursachen dafür zu beschäftigen.

Dabei ist es hilfreich, einen Ausflug in jene Zeit zu machen, in der die Vereinigten Staaten von Amerika, so wie man es beispielsweise bei Jeremy Rifkin nachlesen kann, sich auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen Potenz befanden – den beginnenden 80ern des letzten Jahrhunderts. In schöner Koinzidenz gab es 1982 einen überragenden Bordeauxjahrgang und mit einem Amerikaner, der überdies als ausgebildeter Anwalt mit seiner Abonnementsbroschüre „The Wine Advocate“ die Interessen der Leser bei den Weintribunalen (in der Form der Primeurverkostungen z.B.) vertrat – zunächst nicht unähnlich dem, was wir in unseren Breiten als „Stiftung Warentest“ kennen – einen Protagonisten und Begründer der professionellen Weinkritik, der die richtige Sprache sprach und aus dem richtigen Winkel der Welt kam.

Wenn den Europäern, denen ja der Umgang mit metrischen Größen hätte so vertraut sein sollen, dass sie diesbezüglich nicht ausgerechnet einem Kollegen, dessen Körpergröße sich in feet und inch bemisst, das Feld der Eichprägung hätten überlassen dürfen, aber die Intuition verwehrt blieb, dass die Grammatik eines Werturteils ein höheres Differenzierungspotential benötigt, als es mit beispielsweise 5 Sternen möglich ist, ist es nicht verwunderlich, wenn 100 Punkte nicht nur zum Synonym für Perfektion, sondern auch der Bordeauxgeschmack amerikanisch sozialisiert wurden.

Auch wenn sich Verkoster anderer Provenienz redlich in den letzten Jahren bemüht haben, der Marke „Robert Parker“ eine Alternative zuzugesellen, ist es in der Weinkritik zu einer überragenden Hegemonie gekommen, die vielleicht nur in der deutschen Literaturkritik nach dem Zweiten Weltkrieg eine Entsprechung findet.

Daher war es zwischenzeitlich auch korrekt, wenn der Bordeauxhändler, der sich ja in seiner Einschätzung auf Parker verlassen konnte, für sein eklektisches Tun nicht auch noch eine Prämie in Form einer Subskriptionsmargenerweiterung durchsetzen konnte.

Nun aber, nachdem Robert Parker, indem „The Wine Advocate“ mit immer mehr Stimmen zu urteilen begann, seine Aura erst durch Replikation, (sehr schön dazu: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von Walter Benjamin) filetierte und seinem Orakel dann durch den Umzug nach Asien sprichwörtlich den Boden unter den Füßen entzog, offenbart sich in der Arrivagebewertung des Bordeaux-Jahrgangs 2011 das Ende der Ära des Großdegustators. Eine „Trefferquote“, die sich nicht mehr signifikant von denen „der anderen“ unterscheidet, ist in der Sache eine Ohrfeige, und die Prokrastination eines fälligen Rückzugs macht das ganze Dilemma der Intrinsik moderner Übernahmevereinbarungen offensichtlich. Wenn der Volksmund mit „wenn es am schönsten ist, soll man aufhören“ um die Kunst des „Loslassens“ weiss, drückt der „common sense“ das Wissen um den Zeitwert von Optionen aus.

Weil der Weinhandel insgesamt aber natürlich ungemein von Parker profitiert hat – nicht zuletzt auch die Chateaux in Bordeaux, die Prämien für ihre Produkte durchsetzen konnten, da gute Bewertungen im „The Wine Advocate“ eben synonym mit einem Rating irgendwo im „investment-grade-Bereich“ waren und damit das Label „approved of…“ trugen, ist besonders im Bordeauxhandel, dessen Dominanz sich ja sehr schön im Liv-ex-Index offenbart, eine Retardation im Ringen der Akteure, sich von der Hegemonie eines Einzelnen und dessen Angestellten zu emanzipieren, deutlich zu erkennen.

Wer nun in diesen Zeilen das Bestreben liest, die Ära der Diadochen auszurufen, irrt kategorial. In Anlehnung an Gedanken, die Jeremy Rifkin in „The Third Industial Revolution“ formuliert, scheint es mir geboten, den Sinn hegemonialer Strukturen in Zeiten globaler Vernetzung auch in der Weinkritik zu hinterfragen. Die Inhalte des cellartracker sind ja nichts anderes als die Verschmelzung eines Konsumentenanteils (Weintrinker) mit einem Erzeugeranteil (Formulierung von Weinkritiken) zum Prosumentenmedium, das anderen als Orientierung dient. Wenn mit Jeff Leve einer der profiliertesten Weinjournalisten reichhaltig Inhalte dort beisteuert, wird deutlich, dass er schon längst in der Brise des „wind of change“ segelt.

Da die Bordeaux-Subskription sich aber durch eine zeitlich reich dotierte Spanne auszeichnet, in der sie die zu beurteilenden Weine nur einem befugten (wobei die Legitimation zum Zutritt eher diffus organisiert ist) Personenkreis zur hermeneutischen Auseinandersetzung überläßt, ist die Rolle des Verkosters von ausserordentlicher Bedeutung, denn er füttert den Markt mit Daten, ohne die kein Begehren sich entwickeln würde.

Wenn die bedeutenden Zentralbanken dieser Welt weiterhin hartnäckig daran arbeiten, den Zins als Wert, der die Amplituden von Forwardkurven beeinflußt, zu marginalisieren, wird das Bestreben einzelner Marktteilnehmer, mit Bordeaux als neuer Assetklasse am sicheren „outperformer“ zu partizipieren, nachlassen und damit die Konzentration auf die Ergüsse des Großdegustators als Nektar der Anlageintuition bagatellisiert.

Primeurs 2013 beim Protopauillac, Foto © Matthias Hilse

Primeurs 2013 beim Protopauillac, Foto © Matthias Hilse

Der Pluralität stilistischer Erscheinungsformen und ihrer angemessenen Würdigung durch urteilssichere Verkoster und Händler kann das nur gut tun. Wenn kreativer und produktiver Unerschrockenheit auf der Basis profunder Durchdringung organoleptischer Sachverhalte die Anerkennung zuteil wird, die das meist eklektische Tun Vieler, die im Windschatten des Parkerpunktereigens gesegelt sind, in den letzten Jahren leicht erhalten hat, dann sind wir auf einem sehr guten Weg, Weine in Augenschein zu nehmen, deren filigranes Spiel in den outbounds des Distinktionshorizonts sonst leicht von der Druckwelle der Opulenz hinweggefegt werden.

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