Bordeaux Subskription 2014 – Pontet Canet, Haut Bailly und Calon Segur

Wie beschreibt man Fassmuster von Weinen so, dass es dem Wesen einer hochkomplexen sinnlichen Wahrnehmung gegenüber angemessen ist? Ein Versuch in drei Akten:

Chateau Haut-Bailly, Pessac-Léognan

Chateau Haut-Bailly, Pessac-Léognan

 

Château Haut Bailly 2014

Nimmt man Eleganz als eine Eigenschaft, die quantitativen Maßstäben zugänglich ist, dann ist Veronique Sanders und ihrer Mannschaft mit dem Jahrgang 2014 ein ganz grosser Wurf gelungen. Schon die erste nasale Annäherung zeigt ein Bukett von nobler Vielfalt, denn in von roten und blauen Beeren dominierte Fruchtschübe verweben sich Tabakanklänge, ein pointierter Veilchenhauch, eine sehr dezente Erdnote und eine feine Würze in einem wohlorchestrierten harmonischen Ensemble. Der Gaumenfluss ist ein Dahingleiten von stupender Klarheit und Frische, die Delikatesse des Gerbstoffgeflechts korrespondiert mit der Reinheit der Frucht aufs Edelste, aus der Überlegenheit des breitgezurrten Spannungsbogens erwächst eine Kraft, die den Haut Bailly zu einem langanhaltenden Finale von tänzerischem Schwung und animierender Mineralität führt. Im Vergleich mit den Peers Pape Clement und Smith Haut Lafitte ist Haut Bailly feminine Noblesse pur gepaart mit der Effizienz der Askese, wie sie für mich etwa in Picassos Gemälde „Jacquline with Flowers“ von 1954 zum Ausdruck kommt.

Matthias Hilse: 93-96 Punkte

Subskriptionsindex: 19,5/20

 

Chateau Pontet-Canet, Pauillac

Chateau Pontet-Canet, Pauillac

 

Château Pontet Canet 2014     

Bei Alfred und Melanie Tesseron wird in der beletage verkostet, man muss also ein paar Treppen hochsteigen und ist dann in diesem wie zuletzt regelmässig in den Jahren zuvor auf einer Höhe, von der herab man mit dem Pontet Canet auf die meisten anderen Médocgrössen herabblickt. Das Weingut hat sich diese Position seit zwei Jahrzehnten hart erarbeitet, und in 2014 meine ich zum ersten Mal das Moment gewichener Anspannung in den Zügen der Protagonisten, zu denen natürlich auch der Direktor Jean-Michel Comme gehört, erkannt zu haben. Seitdem das Lachen der anderen dem Respekt der Eklektiker gewichen ist, seitdem alternative Ideen zum Weinbau keine Spinnerei mehr sind, sondern eine geschätzte Gangart, zu gesünderem und reiferem Lesegut zu gelangen, können die Macher von Pontet Canet sich etwas zurücklehnen und verschnaufen.

Mit dem deutlichen Hinweis, dass es in diesem tief farbsaturierten Einschank Einiges zu ergründen gibt, was sich ziert, sich einfach so und allen leicht verständlich zu zeigen, steht der Pontet Canet 2014 im Glas und erwidert die vorsichtige, geduldige und damit zeitenthobene Kreiselei mit immer neuen Bouquetkaskaden, in denen die Attributsträger in scheinbar wilder Unordnung, so als wollte die Kohorte der blauen Beeren nicht hintanstehen den leichtfüssigen Garriquenuancen, die fast ein Gastspiel aus der Provence vermuten lassen, gegenüber und das leise Summen frisch gepflügter, leicht feuchter Erde ebenso vernommen werden möchte wie der kühlende Minzehauch, zu einem olfaktorischen Konzert, das in sensibler Spannung zwischen akzelerierenden Crescendi und retardierenden Decrescendi oszilliert und den Gaumen in eine vorauseilend ehrfürchtige Haltung versetzt. Mit einer Fruchtattacke, die ihre Prägnanz aus der imposanten Reinheit der Beerenessenz, der animierenden Frische der Säureprägung und dem Herzstück fein eingelagerter Fruchtsüsse erfährt, schwebt der Protopauillac wie schwerelos im Gaumen, und es ist kein Tannin, obwohl es daran überhaupt nicht mangelt, das den Gleitfluss in irgendeiner Art, durch zu grobes Benehmen sozusagen, hindern würde. Diese 2014er Ausgabe einer grossartigen Pauillac-Verkörperung ist burgundisch elegant, filigran, vielschichtig ad infinitum, und gleichwohl eine Maulvoll Wein, ein Extraktschwergewicht in feinster Seide, ein Zauberer der Fülle und Komplexität, ohne je die Pfade der Reinheit, Klarheit und Noblesse zu verlassen. Zusammen mit dem grandiosen Montrose gelingt Pontet Canet in diesem Jahr die Neuvermessung von Länge im Wein.

Matthias Hilse: 95-97 Punkte

Subskriptionsindex: 19,5/20

 

Château Calon-Ségur, Appellation Saint-Estèphe

Château Calon-Ségur, Appellation Saint-Estèphe

 

Château Calon Segur 2014

Zu den natürlichen Faktoren, die das Erscheinungsbild der Weine aus Saint-Estèphe in den letzten Jahren verändert haben, gesellen sich zunehmend, wie nun zuletzt im Fall des „beherzten“ Calon Segur, die persönlichen in Gestalt von Eigentümerwechseln. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es in der nördlichsten Médocappellation gerade zu einer Neuausrichtung der dortigen Pyramidenspitze mit Cos d’Estournel, Montrose und Calon Segur kommt. Die Wege, die dabei beschritten werden, könnten unterschiedlicher kaum sein -sehr zum Vorteil der Kunden, die an stilistischer Spreizung der Terroirinterpretation interessiert sind.

Wer in den letzten Jahren der Lebensspanne von Madame Gasqueton Calon Segur besucht hat, dem konnte nicht entgehen, dass der Muff, der sich unter ihrer rigiden Autorität aufgrund von Frischluftmangel etablieren konnte, auch das Potential des dritten Himmelsgestirns am Saint-Estèphe-Firmament durch Erstarrung beschnitt. Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau; um aber zu verstehen, was sich an Veränderungen im Weingut gerade vollzieht, ist es sinnvoll, die Gründe für den vorherigen Modifikationsstau zu kennen.

Ob zu einem Calon Segur der Geruch von Erde gehört wie der der Strasse für Robert de Niro in „Es war einmal in Amerika“, wird man dann feststellen, wenn bei der Arrivageverkostung der Stilschwenk als Verlust an Terroirhaftung gedeutet wird. Calon Segur hat nämlich in seinen Jahrgang 2014 ein Maßwerk eingearbeitet, das ganz das Filigrane, Feine, Erhabene betont, das Fruchtornament, das anmutiger nicht sein könnte, aber in einen Extraktkorpus eingebettet, der im Vergleich zu den vorherigen Editionen eher etwas opulent geraten ist und von ausschließlich neuem Holz gesäumt wird. Dass die stilistischen Modifikationen am „Model Calon Segur“ gleichwohl einem Wein Bahn gaben, der überwältigend balanciert und ohne jedwede Hemmnis, wie sie etwa ein Mangel an Gerbstofffinesse verursacht, den Gaumen mit aromatisch und mineralisch flankierter Fruchteleganz verblüfft, ist dem grossartigen Taktgefühl von Vincent Millet zu verdanken. Gelingt es, die das Fruchtzentrum umlagernde Peripherie dauerhaft mit einer etwas selbstbewussteren Definition zu umgeben, ohne dass dabei Ursprung verloren geht, werden noch viel mehr Kunden als jetzt schon das Weingut als „coup de coeur“ einstufen mit entsprechenden Folgen für den Preis.

Matthias Hilse: 93-96 Punkte

Subskriptionsindex: 20/20

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