Verkostungsnotiz Pontet Canet 2012 und Fleur Morange 2012

Château Pontet-Canet

Seit vielen Jahren nun ist der Verkostungsbesuch auf Château Pontet-Canet eines der Highlights der Primeurwoche in dualer Hinsicht. Zum einen wird hier regelmäßig, zumindest seit dem Jahrgang 2008 konsequent, einer der Weine des Jahres präsentiert, zum anderen rufen die im Weinberg oder auch im Keller durchgeführten Modifizierungen, die jeweils Puzzleteile im äonisch ausgelegten Masterplan des kongenialen Duos Alfred Tesseron und Jean-Michel Comme sind, immer wieder akklamatorische Verwunderung hervor und machen Staunen über die Begrenztheit des eigenen Horizonts, der solche Entwicklungen nicht in Sichtweite hatte.

Nachdem der komplette Weinberg seit dem Jahrgang 2010 als biodynamisch zertifiziert ist und die Unterhufnahme der Rebreihen in sanfter Kontinuität voranschreitet, wurden nun jüngst die Pontet-Canet-Eier mit dem grandiosen und sine-pari-Jahrgang 2012 inauguriert. Es handelt sich dabei um geschwungene Betonbehälter, in denen ein Teil der Gärung vollzogen wird. Sie stehen in Konkurrenz zu Holzfässern und ermöglichen ebenso wie diese die gewünschte Mikrooxidation. Insgesamt sinkt dadurch der Holzeinfluss und der Wein, entledigt eines Teils seiner symbiotischen Fessel, gewinnt an Genuität.

Verkostungsnotiz:

Der geduldige Glasschwung des tiefdunklen Pauillac-Elixirs setzt Bouquetwolken von unerhörter aromatischer Opulenz, feinster Floralhauchdistinktion und rassiger Frische, die einen erhaben feinen Kern roter Früchte und Beeren umhüllen, frei. In grazil-schwungvoller Eleganz, mit der Reinheit eines quellnahen Gebirgsbaches und im sicheren Bewußtsein innerer Größe verwandelt die jüngste Pontet-Canet-Réüssite den Gaumen in einen atemberaubend weitgefassten Resonanzraum mit perfekter Balance der Attributträger Frucht, Säure und Tannin. Mit dem feinen Schwung einer Frühjahrsbrise und ihrer animierenden Frische gleitet der von feiner Würze unterlegte, im rot-und blaubeerigen Fruchspektrum domizilierte Saft mit völlig unangestrengtem, gleichwohl wirkmächtigem inwendigem Druck über die Zunge und scheint dabei jedweder Gravitation enthoben. Die perpetuierenden, sauerstoffbewährten Gaumenwogen zeigen dabei eine Fruchtausprägung von höchster Reinheit in einer Gerbstoffgewandung von subtilster Finesse. Dieser monolithische, retroavantgarde, visionäre Wein transzendiert sowohl die traditionelle bordelaiser Adelspyramide als auch das aktuelle Bewußtsein pauillac’scher Größe in der Form einer Wesensverdichtung, die ihre Wurzel eben nicht der ex-post Bearbeitung geernteter Beeren, sondern in der ex-ante Sorge um die Bedingung der Möglichkeit von Rebvitalität hat.

Verglichen mit den Jahrgängen 2009 und 2010 entfaltet die 2012er Ernte etwas weniger Druck, offenbart aber dadurch immer neue Schichten ihrer feinziselierten, kaskadengestaffelten Struktur, die sonst leicht von schierer Opulenz überlagert wird. Wie eine Bach’sche Tokkata, gespielt in einer Kathedrale, hallt der Pontet-Canet mit immer neuen Themenbögen in einem Finale von der Länge einer halben Ewigkeit nach. Pontet-Canet 2012 ist für mich der Wein auf der linken Seite, der alles andere überragt.

Matthias Hilse: 96-98 Punkte

TulpenDSC_5943Tulpenmeer                                                                                             Foto: © Matthias Hilse

Chateau La Fleur Morange

Chateau La Fleur Morange ist in vielerlei Hinsicht eine Rarität. Nicht nur, weil es von diesem begnadeten Wein im Durchschnitt nur 5.000 Flaschen gibt und auch nicht, weil die Reben hier im Mittel einhundert Jahre alt sind. Was nach einer Antinomie ausschaut, das Weingut mit dem Methusalem-Rebbestand als eines der Ikonen modern-zeitgemässer Saint-Emilion-Interpretation zu bezeichnen, bekommt bei näherer Betrachtung axiomatische Schlüssigkeit.

Gerade weil die Oldie-Reben die bestmögliche Form der Ertragsreduzierung liefern und die Größe des Weinbergs vollständige manuelle Tätigkeit ermöglicht, liegen die Dinge hier weit entfernt  von den High-Tech-Weinen, die Saint-Emilion reich bevölkern.

Verkostungsnotiz:

Der dunkelgewandete Fleur Morange geizt schon bei der ersten Annäherung nicht mit seinem reichen Beerenbouquet, das von dezenter floraler Würze unterlegt ist und mit einer feinen Graphitnote einhergeht. Der seidig-elegante, saftig-frische, vibrant-animierende Gaumenfluss offenbart einen Wein von exquisiter Feinheit, pulsierender Souplesse und überaus filigraner Ästhetik. Wie in einem wohldistinguierten piano-decrescendo, wo man bei jedem Ton fälschlich meint, der nächste sei dann nicht mehr hörbar, bringen immer feinere Fruchtandeutungen die Zunge in einen Zustand entzückter Wachsamkeit. In der nobelsten Form seduktiver Verführung, wo der Sinnenreichtum das Bewußtsein schärft ohne jegliches Autonomiedefizit, diffundiert sich diese Rarität in einem Finale graziler Anmut und beseelter Vergänglichkeit.

Dies ist ein Wein für den besonderen intellektuellen Genuß, quasi ein archäologischer Tropfen, der den Reichtum der feinen Distinktion, der eben nicht überlagert ist von kraftstrotzender Fülle, zum Vorschein bringt. Er ist der Paradewein, um die Sinnhaftigkeit einer Subskription 2012 zu verstehen: er kann sehr gut leise und ist überaus homöopathisch (um es in der Sprache der Zeitung mit den großen Buchstaben zu sagen).

Der piano-Wein für den Nocturnes-Abend.

Matthias Hilse: 92-94+ Punkte

 

 

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