Aufstieg und Fall des Wine Advocate oder: vom Verlust der Perfektion

Als einst Könige starben, konnte man sicher sein, dass die Nährquelle ihrer Funktion Sie weiterleben lassen würde (..“der König ist tot, lang lebe der König“…). Das war zu Zeiten, als noch keine „community“ sich berufen fühlen durfte, den Hegemon zu obsoleszieren.

Wenn nun Neal Martin, dem vor ein paar Ernten angetragen wurde, das Parker’sche Erbe zu wahren, die Position auf der Bordeauxbrücke im stürmischen Ozean der Unübersichtlichkeit verläßt, um als „senior editor“ beim Wine Advocate der Jetztzeit, Vinous, anzuheuern, dann können die Michelinreifen vielleicht helfen, das Zweitschlimmste zu verhindern; was aber die geballte Versammlung der ehemaligen WA-Granden beim neuen Arbeitgeber kaum wird retten können, ist die Reanimation der in Potenz camouflierten Fantasie zur Perfektion.

Denn um etwas Großes zu erreichen, braucht es Mut. Mutig war es weiland von Robert Parker, den „metrischen natives„, im alten Europa vorzuführen, wie mit der Adjustierung der Grammatik und der Verwerfung von Symbolen (Bewertung mit max. ****), die zwingend unklar sind, sensorische Erlebnisse auf das maximal Mögliche, die Perfektion, intentionalisiert werden können.

Man mag Parker vorwerfen, es gegen Ende seiner aktiven Laufbahn mit den 100-Punkten etwas übertrieben zu haben. Er hat aber immerhin das Beste möglich scheinen lassen.

Die namhaftesten Verkoster können das Defizit, im Sturzregen niederprasselnder sozialmedialer Ubiquität selbst nur ein paar Tropfen zu sein, auch in der Teambildung kaum ausgleichen. Denn jedem einzelnen von ihnen fehlt es am Mut, Perfektion dort zu konstatieren, wo sie offensichtlich ist.

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Es bleibt abzuwarten, ob die jünsten Personalien die Fragmentierung in der Weinkritik aufhalten können. Auf jeden Fall ist der engagierte „amateur du vin“ gut beraten, zur Calibrierung seines Geschmacks Ausschau zu halten nach unabhängigen Experten, die eine Fassprobe mit Worten so visualisieren können, dass das Zuwarten auf den Genusshorizont zu einem Kaleidoskop vorausschauender Begierde und Sehnsucht wird.

Mir jedenfalls scheint, die Alternative zur individuellen Bewertung, wie sie in der Aggregierung der Einzelergebnisse zum „global wine score“ en vogue ist, lastet dem unkommentierten Zahlendurchschnitt eine Fantasie an, die er per se nicht zu entfachen in der Lage sein kann.

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