Bordeaux 2014 – der Jahrgang mit dem langsamem Puls par excellence

Es liegt immer eine gewisse Aufregung über der Zeit, in der in einem Akt serieller Iteration die Bordeauxweine der letzten Ernte in einem Publizierungsmodus, der dem Treiben, wie es einstmals an den Präsenzbörsen üblich war, nicht unähnlich ist, an den Markt gebracht werden. Vom Schleier einer undurchsichtigen Dramaturgie verhüllt, bleibt der mit den Châteaux als Kontraktpartner verbundenen Händlerschar nichts anderes übrig, als der Neuigkeiten zu harren, die das Tempo ihres Geschäfts bestimmen. Denn ähnlich einem Raubtier, das seine Energie auf den Moment ausrichtet, für dessen Metier der Fotograf Henri Cartier-Bresson den Begriff „moment décisif“ prägte, muss der Händler in dem Moment zuschlagen, wenn ein Wein an ihm vorüberzieht, der schon einen Wimpernschlag später in den unendlichen Weiten globaler Nachfrage entschwunden ist.

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Keine andere Weinbauregion dieser Welt hat die Chuzpe, einen solchen Aufmerksamkeitsknebelungsvertrag mit denen, die die Distribution ihrer Weine organisieren, zu schliessen. Die Hypertonie ist also der Grundtonus und der Augenblick das Zeitmaß für Weine, die zu ihrer Entwicklung absolute Ruhe und ein Abwarten, das sich manchmal in Jahrzehnten bemisst, erfordern.

So ist es fast ein Wunder, dass in einer Zeit, die sich selbst zu überholen scheint, ein Jahrgang in das Visier der Marktschau gelangt, der denen, die von der Verkürzung der Intervalle so affiziert sind, dass Hochfrequenz das Normale für sie zur Zeitlupe verlangsamt, mit der Unbeirrbarkeit dessen, der sein eigenes Maß verinnerlicht hat, signalisiert: immer mit der Ruhe!

2014 ist vor allem ein Jahr ohne Sommer mit einem sommerlichen Herbst und einer Verschiebung ganzer Jahreszeitenblöcke. Der Klimawandel bringt es mit sich, dass „kein Sommer“ nicht bedeutet, Vegetationsprozesse wären dergestalt beeinträchtigt, dass kein Altweibersommer lang genug sein könnte, eine Ernte bei voller phenolischer Reife zu gewährleisten. Das Wissen um das richtige Tun zu passender Zeit ist heute so perfektioniert, dass 2014 Weine hervorbringen wird, die denen aus 1996 oder 2001, wo es ähnliche Witterungsverläufe gab, in den Punkten aromatischer Präzision und Fruchtbrillanz, aber auch Gerbstofffinesse, überlegen sein werden.

Wer je „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Stan Nadolny gelesen hat und wem der Gedanke nicht irrig scheint, alles habe seine Zeit, der kann sich möglicherweise vorstellen, dass das, was mit „Entschleunigung“ als Gegenentwurf zur Tempoverzückung, die mit den Futuristen bereits in die Welt kam, gemeint ist, einer Sache schon in ihrem Werden gut tut, die zu ihrer Entfaltung noch Olympiaden braucht.

Nein, Opulenz ist kaum zu finden in diesem Jahr, das so ganz anders als 2009 ist, und selbst wenn er noch lebte, wäre Rubens nicht der geeignete Künstler für das Mouton-Etikett 2014. Wer aber ein Faible für die leisen Töne und das Faszinosum ihrer Distinktion hat, wem Grönemeyers „Sie hört Musik nur wenn sie laut ist…“ keine Hymne auf das Fortissimo im sinnlich Wahrnehmbaren ist, der wird seine Freude daran haben, sich auf einen Jahrgang einzulassen, der seine Stärke im Gleichmaß und der Balance, in seiner Brillanz und seiner aromatischen Finesse hat.

Wenn Château Margaux, von dem man wird nicht sagen wollen, dass es je in den letzten 30 Jahren der Fortüne entbehren musste, den eigenen Wein nicht überaus präzise in seiner jeweiligen Substanz in die qualitativ chronologisierte Ahnengalerie einzuordnen, 2014 als einen Jahrgang einer neu zu definierenden Zwischenwelt bezeichnet, dann ist damit auch diese letzte bordelaiser Ernte insgesamt im Koordinatensystem des Zeitkontinuums verortet.

Für viele sicherlich überraschend, weil man jetzt so viel mehr über die nachgerade verblüffende Renaissance des Jahrgangs 2012 hört, der doch viel spannender sei und mit seiner baldigen allgemeinen Verfügbarkeit dem Makel eines jeden Primeurjahrgangs, noch seiner Abfüllung harren zu müssen, enthoben, schätzen die Verantworlichen auf Chateau Margaux ihren Jahrgang 2014 knapp unterhalb 2000, 2003, 2005, 2009 und 2010 ein, aber über allen anderen Jahrgängen der jüngeren Zeit.

Im Sinne von Bob Dylans „Talkin‘ World War III Blues“, in dem es heisst: „…“Half of the people can be part right all of the time. Some of the people can be all right part of the time. But all of the people can’t be all right all of the time.“ I think Abraham Lincoln said that. “I’ll let you be in my dreams if I can be in yours”. I said that.“ meine ich, dass 2014 in Bordeaux nicht nur auf Château Margaux ein Traum von einem Wein vinifiziert wurde.

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