Von Bordeaux 2013 und einer offensichtlichen Vakanz

Man muss in der Geschichte nicht bis zu Alexander dem Großen zurückgehen, um zu verstehen, dass bei Verwais einer von einem Hegemon besetzten Position Zeit der bedingende Faktor ist, das aufgetane Vakuum nach Ablauf der „Diadochenphase“ allmählich wieder mit Potenz zu füllen.

Gerade die deutschsprachige Literaturkritik liefert ja nach dem Tod von Marcel Reich-Ranicki ein gutes Beispiel, dass mit dem Ende einer Epoche das Geschrei der vermeintlichen Erben das Schweigen des Erblassers zunächst nicht übertönen kann.

Nun weilt der Grossdegustator zwar noch unter uns, aber mit dem Umzug seines Orakels und dem Verkauf des „Wine Advocate“ ist ihm die Aura seiner Unabhängigkeit abhanden gekommen, denn er vertritt nun ja mit seinem Namen die Interessen anderer.

Wer ein schönes Beispiel für das, was man mit Koinzidenz bezeichnet, finden möchte, macht am besten zunächst eine Zeitreise  in das Jahr 1983. Damals galt es, den Bordeaux-Jahrgang 1982 zu beurteilen. Ein junger Mann, als ausgebildeter Jurist lag es nicht fern, die eigene Abonnementszeitschrift „Wine Advocate“ zu nennen, konnte, weil er die richtige Sprache sprach und den wichtigsten Markt für hochwertige Weine „bediente“, mit seiner Einschätzung, die ja bis heute nichts von ihrer Validität verloren hat, auf einen Schlag reüssieren. Denn zum Ingenium der maßgeblichen Einschätzung kam im Schlepptau die geballte Kaufkraft des nach Jeremy Rifkin zu jener Zeit sich  auf dem Höhepunkt seiner ökonomischer Prosperität befindenden amerikanischen Marktes.

Seine Beurteilung der Weine war insofern stilbildend, als Alkoholreichtum, Fruchtfülle und Opulenz der Statur (besonders auffällig ist die Entwicklung in Saint-Emilion diesbezüglich) fortan Attribute waren, die der Akklamation sicher waren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit dem in dieser Hinsicht überragenden Jahrgangspaar, 2009 und 2010, das in seiner Summe alles in den Schatten stellt, was man bisher vielleicht für das maximal Mögliche hielt, die Ära Parker mit dem Überreizen attestierter Perfektion und dem dadurch verursachten Exodus der besten Weine aus der Sphäre des Budgetmöglichen ihren finalen Höhepunkt überschritten hatte und es für das Orakel Zeit wurde, den disintegrierenden Firmenwert zu monetarisieren.

Es sei in einer Nebenbemerkung erwähnt, dass die Parker’sche Dominanz so weit führte, dass der Grossdegustator die Verkostungsbedingungen nach seinen Bedürfnissen bestimmen konnte (während der „normale“ Verkoster wie der Autor den allgemeinen Lauf der Dinge akzeptieren muss) und damit Quervergleiche für ihn möglich waren, die den anderen, dem raum-zeitlichen Kontinuum Verhafteten, verwehrt waren. Insofern erreichten seine Einschätzungen immer eine deutliche höhere Stringenz in den Abstufungen.

Wenn nun mit dem Bordeaux Jahrgang 2013 Parker erst das Parkett betritt, wenn das Licht der Kampagne mit den letzten Preisveröffentlichungen bereits ausgeknipst worden sein wird, so wäre dies eine einmalige Gelegenheit für all diejenigen, die in den letzten Jahren mit dem Verweilen in seinem Schatten Vorlieb nehmen mussten, gesehen zu werden, solange Licht ist. Wenn Sie nun aber als interessierter Leser die Bewertungen der globalen B-Mannschaft überfliegen, ist „diskrepant“ vielleicht noch das netteste, was Ihnen einfällt.

Die Châteaux hingegen tun das Notwendige, um der Dominanz des Orakels aus Maryland zu entgehen, indem sie ihre Preise in einem solchen Takt veröffentlichen, dass man meinen könnte, sie hätten eine Neigung fürs Defätistische.

In der allgemeinen Sprachverwirrung ist das einzige, was man deutlich vernehmen kann, der Ruf nach niedrigeren Preisen. Dabei wird gern übersehen, dass nicht gerade wenige Weine das Ausgabeniveau von 2008, als die Angst vor einem „meltdown“ imminent war, unterschritten haben. Dass der Weinmarkt Bordeaux überhaupt so etwas wie die Umkehrung positiver Vorzeichen vorsieht und Preise „a la baisse“ ermöglicht, vergisst man dabei leicht in einem Weinuniversum, in dem die kundenfreudlichste Preisgestaltung das Belassen auf Vorjahresniveau ist.

Zugegebenermaßen war die Erwartung verführerisch, mit der vorläufigen Primeurabstinenz Robert Parkers in einem mediokren Jahrgang müssten die Preise deutlich sinken, eben weil das Aufgeld, dass man als Verbraucher für das Ratingunternehmen „Wine Advocate“ zu zahlen bereit ist, 2013 nicht anfällt.

So wie mit den Weinen aus Burgund immer gerne in arithmetischen Dimensionen argumentiert wird, tut es nicht wunder, dass die strategische Ausrichtung der Top-Bordeaux-Châteaux genau in diese Richtung geht:  mit immensem Aufwand kommt nach einer Selektion, die am Ende Hektarerträge ergibt, die jeder Châteauneuf-du-Pape-Spezialcuvée zur Ehre gereichen würde, die alles leicht defiziente aussortiert, was man noch vor wenigen Jahren bedenkenlos in den Grand Vin gegeben hätte, ein Wein zustande, dessen Qualität sich in gewissem Sinn von der Güte des Jahrgangs entkoppelt. (Die Tendenz bei den Premier Crus, neben einem Drittwein nun auch einen Viertwein zu separieren, ist in diese Richtung zu deuten.)

So kann man das scheinbare Paradoxon erklären, dass es in einem bestenfalls mittelmäßigen Jahrgang große, wenn auch keine perfekten Weine gibt. Daher halte ich den Jahrgang 2013 für die 1. Post-Parker-Ernte, und nutze dabei gerne in semantischer Inversion eine Sprachfigur, die vom  „Bote(n) vom Bundestag“ bekannt sein dürfte. Die Koinzidenz dabei ist, dass mit der topographischen Verlagerung des Weinorakels gen Osten ein Jahrgang mit einer Stilistik zur Debatte steht, den die amerikanische Zunge ob seiner eher asketischen Eigenheiten ohnehin nicht so goutieren würde, dass den Weintrinkern von den Weinarbitrageuren der Rang abgelaufen werden würde – und wir damit wieder in die Prä-Parker-Ära zurückgeworfen werden.

Was doch sehr verwundert, ist, dass trotz der Vakanz in der bel etage der Weinkritik offensichtlich Scharmützel inszeniert werden, die in ihrer Neigung zur Selbstentblößung und in ihrem eigenen Dogmatismus ersticken. Wenn die Subskriptionsrezeption in prohibitiver Manier eher zur Bevormundungsattacke als zu einem Leitfaden durch das, was eben die Eigenheiten des Jahrgangs 2013 sind, wird, dann verfehlt sie schlicht ihr eigentliches Ziel und wird zum populistischen Pamphlet.

Eine Weinkritik, die sich ins Politische aufschwingt und versucht, mit einer Pointierung des Defizienten Druck auf die Preise auszuüben, überhöht sich selbst und verheddert sich im Gefüge der Kategorien.

In diesem Sinne schließt diese Betrachtung mit einem Eingeständnis, dass nun fast zu einer Tautologie geworden ist: ja, es gibt in 2013 Weine, die es gebieten, sich ihnen nur in konsequenter Abstinenz zu nähern. Das geschieht einfach durch Nichterwähnung. Die Reüssiten aber, die die Reinkarnation der Klassik mit moderaten Alkohol- und Tanninwerten, mit Frische, stilistischer Stringenz, Eleganz und Ausgewogenheit verkörpern, werden hier, auf diesem Blog und der Webseite, der er affiliiert ist, nicht auf dem Altar der Inferiorisierung geopfert, sondern in sematischer Differenzierung so beschrieben, wie es der Entschlüsselung ihres Wesens gerecht wird. Leider verbraucht das immer mehr Zeit als es dem Geduldigen zuzumuten ist.

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