Weinmarathon 3. Tag: 06. April 2011 Das linke Ufer

Früh am Morgen ging es als erstes zu Ch. Palmer. War der 2009er ein Allerweltswein auf natürlich hohem Niveau, so hat Palmer mit dem 201oer ins Margaux-Schwarze getroffen. Das ist Bordeaux, Margaux und Palmer pur – kurzum: hier von der Erfüllung des Terroirs zu sprechen, ist angebracht. Der 2010er ist und wird eine Delikatesse, die es mit den allerbesten Jahrgängen des Hauses wird aufnehmen können.

Palmer hatte deutlich die Vorfreude auf die UGC Sammelverkostung Margaux auf Ch. Lascombes steigen lassen. Und trotz hoher Erwartung wurden wir hier nicht enttäuscht. Ähnlich homogen wie die Region Pessac-Leognan präsentierten sich die Margaux-Weine auf allerhöchstem Niveau, angeführt con Ch. Malescot St. Exupery und einem heißen Tip, den wir uns einmal mehr für den Katalog aufheben.

Palmer war groß, die anderen Margaux-Weine ähnlich bedeutend. Wie würde jetzt der Namenspatron Ch. Margaux die Gaumen umspülen? Ich möchte den Spannungsbogen nicht strapazieren und falle demnach gleich mit der Tür ins Haus: Ch. Margaux war perfekt. Der Wein überragte alles und nach dem 2009er, der bereits in der Umlaufbahn der Perfektion schwebte, mit dem 2010er daran anzuknüpfen, rang mir größten Respekt ab.

Wie kann ich den Unterschied zu Palmer beschreiben? Palmer ist die Ineinanderfügung der Komponenten, um von der Erfüllung des Terroirs zu sprechen. Ich würde bei Ch. Margaux nicht von einer Terroir-Erfüllung sprechen, sondern von einer Erfüllung von Wein an sich. Natürlich ist das die Appellation Margaux in Reinform. Aber gleichzeitig setzt eben Ch. Margaux auch den Maßstab, um überhaupt  eine Matrix für die Bewertung der Appellation zu bekommen. So ist Ch. Margaux die Appellation in Reinform und dennoch jenseits von ihr. Gänsehaut.

Was für Ch. Margaux gilt, galt dann auch bei unserem nächsten Termin: Latour. Hier ist das Thema Pauillac in seiner erhabensten Form in die Erscheinung getreten. Latour ist Cabernet Sauvignon in Vollendung. Man sagt gerne, hier geht es nicht mehr besser, sondern nur noch anders. Bei Latour behaupte ich: hier geht es weder besser noch irgendwie anders. Der 2010er von Latour ist perfekt und jedes Anders wäre ein Makel. Ein Jahrhundertwein.

Auf dem Weg zur Sammelverkostung Pauillac/Saint Estephe/Saint Julien auf Branaire-Ducru beginne ich mir zum ersten Mal, prinzipielle Gedanken zu dem Jahrgang 2010 zu machen. Am linken Ufer ist der Jahrgang großartig. Vielleicht sogar größer als 2009. Ein Hauch mehr Eleganz, ein Hauch mehr Feinheit, ein Hauch mehr Finesse. Mir kommt Dilthey in den Sinn, für den klassisch die höchste denkbare Ausprägung einer Entwicklung bedeutete. Insofern ist der 2010er am linken Ufer ein klassisches Jahr. Und würde der Begriff durch die ständige Wiederholung in mediokrem Kontext nicht so abgenutzt wirken, könnte ich den Satz so stehenlassen. Stattdessen muss ich, um meinen Punkt klar zu bekommen, einen weiteren folgen lassen: 2010 ist die höchste denkbare Ausprägung der Entwicklung im Medoc! Punkt.

Mit dieser Art Gedanken laufe ich also bei Branaire-Ducru ein und bin über die Menschenmenge und die unerfreulich hohen Temperaturen erschüttert. So voll, so warm, so stickig, so laut war es noch nie. Wir verkosten nur einen kleinen Teil der Weine und verschieben den Rest auf den nächsten Tag. Das Thermometer außen zeigt inzwischen 27 Grad.

Trotzdem gab es auch auf Branaire-Ducru ein Highlight. Ch. Leoville-Poyferré. Der 2010er ist großartig. Erhaben, streng, klassisch eben!

Wir ziehen es vor, die jeweiligen Chateaus jetzt einzeln zu besuchen. Der heimliche Premier Cru aus Saint Julien, Ch. Leoville Las Cases, ist die erste Station nach dem Massenauflauf. Der Wein aus 2010 macht deutlich, warum LLC mit den Premiers in einem Atemzug genannt wird. Er steht ihnen in nichts nach.

Kann man der Perfektion noch mehr Eleganz einhauchen? Diese Frage stelle ich mir, als ich auf Ch. Lafite an einen Vergleich mit Ch. Latour denke. Der Latour wirkte erhabener, der 2010 Lafite in meinem Glas schwebender. Ich bete zu Gott, in meinem Leben niemals in die Situation zu kommen, mich zwischen diesen beiden Weinen entscheiden zu müssen. Vielleicht ist das am Ende der Sinn, warum wir Menschen nicht allein, sondern nur mit einem Partner glücklich sind. Dann kommt man um die Entscheidung herum und könnte beide Weine nehmen!

Auch Mouton-Rothschild ist großartig gelungen. Mindestens auf Vorjahresniveau. Im Vergleich mit dem 2009er ist der 2010er jedoch eleganter, frischer, die reife Säure tragender, vielleicht dadurch langlebiger. Ich bleibe dabei: 2010 ist DAS klassische Jahr! Mouton beweist es.

Am Ende des Tages bleibt mir nur festzustellen, dass das Medoc definitiv die gewichtigeren Weine im Schlürfpotpourri beisteuert. Das gilt auch für Cos d’Estournel, wo der Wein selbst mindestens so beeindruckend ist wie der neue Chai und die in der Weltliga angesiedelte Empfangshalle des Chateaus. Und ebenfalls nicht lumpen lässt sich Ch. Montrose, schliesslich gehört das Gut den Brüdern Bouygues und damit einer der größten Baufirmen Frankreichs. Ob das jedoch noch klassisch ist?

 

Dieser Beitrag wurde unter Bordeaux 2010 Primeur abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.