Warten auf das alljährliche Ende des Wartens

Eigentlich ist es ja nicht höflich, andere warten zu lassen. Und wenn es gar noch so viele sind! Das grenzt dann schon an Unverfrorenheit. Lässt er aber andere wirklich warten, oder warten wir einfach?

In schöner Regelmäßigkeit gibt es alljährlich mitten im Frühjahr einen Tag, an dem Robert Parker jr., den in Anlehnung an Robert Musils Notation für Thomas Mann Großdegustator zu nennen ich mir angewöhnt habe, sein Urteil über Bordeaux publiziert. Das wäre an sich gar nicht der näheren Erörterung wert, wäre da nicht die Beobachtung zu machen, dass im Vorfeld dieses Moments, der heute durch die Veröffentlichung im Internet überall gleichzeitig stattfindet (nicht dass Sie denken, ich würde Identität nicht von Verschiedenheit unterscheiden können, aber im Zeitalter des postalischen Versands gab es den „moment décisif“ schlichtweg noch nicht), die bordeauxaffine Welt paralysiert ist.

Das ist kolossal beachtenswert, denn man würde aus den Umständen anderes erwarten.

So wie ein ökonomisch geschwächtes Amerika sich schwertut, seine einst rubrikenübergreifende Hegemonialstellung zu verteidigen, so büßt der amerikanische Konsument seine Bedeutung und damit seine Indikatorenrolle ein. Aus dem Land der Mitte ertönt jetzt das Konzert ökonomischer Prosperität. Dort aber konsumiert man Marken, also gewissermaßen etwas Absolutes. Da rückt beim Wein der Name in den Vordergrund, der Jahrgang, respektive die Qualität desselben, ist dabei sekundär. (Man kann das derzeit an der Preiskurve für Lafite Rothschild erkennen: die beste Rendite in den letzten Monaten haben die miesesten Jahrgänge gebracht, denn die waren bisher naturgemäß am günstigsten.)

Das genau ist aber Parkers „Asset“: viele schreiben ihm die göttliche Gabe der relativen Bewertung zu. Sein Urteil hat(te) Gewicht, sein Wort war Gesetz. Wir werden gerade Zeugen der Entrückung der Bordeaux-Ikonen aus dem Parker-Horizont der Punkte/Wert-Proportionalität.

Und die Châteaux? Warum warten sie mit ihren Preisen auf den Mann aus Monkton, MD? Haben sie nicht in den letzten Jahren so viel Geld mit ihren Weinen verdient, dass sie gar nicht darauf angewiesen sind, gut zu verkaufen? Und wissen sie nicht intuitiv, dass es jetzt viel wichtiger ist, zum Kreis der Ikonen zu stoßen, als hohe Bewertungen zu bekommen?

Ein wenig ist es dann doch wie bei Beckett. Wir warten, es bleibt aber letztendlich offen, auf was.

Aber halt! Vielleicht ist es ja die Illusion, die uns nicht genommen werden soll. Parker konnte durch sein Urteil Nachfrage generieren – oder eben selbige im Keim ersticken lassen. Wie einst der Steppenwolf treten wir also ein in das Magische Theater und geben uns der mystischen Hoffnung hin, die maßgeblichen Akteure in einem Spiel zu sein, dessen Regeln wir bestimmen.

So bleibt es vorerst beim Alten: wir warten auf den Spruch des Orakels und rätseln dann über dessen Exegese. Alt werden wir (und auch die Châteaux) dann aussehen, wenn die ewige Wiederkehr des immergleichen ein Ende hat.

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