Bordeaux Subskription 2017

oder

Fallstudie von der Transformation eines Kritikermarktes in einen solchen der Testimonials

Die Bordeaux Subskription durchläuft von den Grundbedingungen ihres Seins her betrachtet eine substantielle Veränderung, die man in wenigen Worten als „Adieu Vorfinanzierung Hallo Anbietermarkt“ bezeichnen kann. Einschränkend muss man hinzufügen, dass dies globale Gültigkeit beansprucht und sich nur auf die Weine bezieht, die überhaupt noch ernsthaft in Subskription gehandelt werden.

Über lange Jahre war die Subskription finanzmathematisch eingebettet in eine Zinskurvenlandschaft, bei der der Kreditor eines Zinses sicher sein konnte und er keine Sanktionierung seiner „Habenfunktion“ befürchtetn musste. In einem Umfeld, in dem die Identität zwischen Zinskurven und ihren Ableitungen, den Forwards, nicht gedacht wurde, war das Wesen der Subskription auch bestimmt von Gedanken über Opportunitäten.

In Zeiten, in denen Zinskurven, als topographisches Profil gedacht, schon wissen lassen, wer übermorgen zu Besuch kommt, entschwindet der Zeitpunkt als Bestimmungsgröße zur Erheischung von Opportunität in die Indifferenz.

Ob sich die Veränderungen in der grundsätzlichen Ausgangslage der Subskriptions-Marktteilnehmer (Erzeuger/Negociant/Händler/Kunde) auch zum Teil daraus erklären lassen, dass der Zins heutzutage eines Vorzeichens bedarf, oder eher aus den markant in Bewegung geratenen Eigentümerstrukturen, sei dahingestellt.

Im Grunde ist das Subskriptionsgeschäft in den letzten 35 Jahren auch dadurch geprägt worden, dass immer neue Märkte für die Weine von der Gironde erschlossen werden konnten – und gerade bei überdurchschnittlichen Jahrgängen ex-post-Subskription dadurch ein Nachfragesog die Preise nach oben zog, so dass es fast schon ein „no-brainer“ war, bestimmte Weine en primeur zu erwerben und bei der Arrivage gewinnbringend zu verkaufen.

Man darf vermuten, dass unmittelbarer Liquiditätsbedarf bei den Erzeugern (in der Abwägung alternativer Kosten durch Bankenfinanzierung zu damals üblichen Zinsen) zur Tolerierung eines ausgeprägten Arbitragemarktes führte.

Heute bestimmt nicht mehr der Markt das Angebot, sondern die Erzeuger. Während es früher üblich war, so viel Wein wie möglich zu produzieren, dürfte besonders der Blick nach Burgund, wo die Knappheit des Gutes „Burgunder“ eine beispiellose Hausse der Preise selbst bei Weinen erfahren hat, von denen man eigentlich annehmen müsste, ihre ausserordentlich punktuelle Existenz verhindere per se die Genese eines Marktgeschehens, mit dazu beigetragen haben, die Marke durch Mengenentzug zu stärken.

Der Siegeszug der Subskription im Bewusstsein des ambitionierten Bordeauxsammlers hat auch mit der Urteilssicherheit und der im Rahmen der eigenen Verkostungen verifizierbaren Tauglichkeit der Verkostungsergebnisse von Robert Parker (im deutschen Sprachraum auch abgeschwächt Rene Gabriel) zu tun.

Mit der Souveränität des Doyens und der Unerschütterlichkeit des Standfesten ließ Parker alle auf sich warten, und erst wenn seine Benotungen veröffentlicht waren, kam das Marktgeschehen in Gang.

Heute überschlagen sich die Verkoster um die „early birds“ Suckling und Quarin mit der Veröffentlichung von Jahrgangsberichten und Verkostungslisten – ohne dass es einen Markt gäbe, der darauf wartete. Nun reden so viele durcheinander, man muss sich als interessierter Laie mit so vielen Meinungen auseinandersetzen, dass mit jedem neuen Kritiker das Maß an Unsicherheit zunimmt. Im Grunde ist es eine Frage der für den jeweiligen Subskriptionsinteressierten zur Verfügung stehenden Zeit – und damit quasi indifferent, ob man alle Einzelkommentare von Neal Martin, Bettane&Desseauve, Jane Anson, James Molesworth, Tim Atkin, Lisa Perrotti-Brown, Antonio Galloni, James Suckling, Jean-Marc Quarin, Jeff Leve, Yves Beck, Andre Kunz, Jeb Dunnuck et al. einzeln studiert, oder einfach den „global wine score“ als Entscheidungshilfe zu Rate zieht.

Dieses Weichspülen von pointierungsfähigen singulären Wahrnehmungen zu einem Konsensvehikel bedeutet nach meiner Einschätzung das vorläufige Ende von marktbestimmender Einzelkritik und läutet eine Zeit ein, in der der zu beurteilende Gegenstand selbst als Testimonial die Nachfrage bestimmt.

Nicht umsonst hat gerade Sebastien Bras seine drei Michelinsterne zurückgegeben, ohne die sein Vater Michel sicherlich nicht in die Lage gekommen wäre, sie überhaupt für entbehrungsfähig zu halten.

Braucht es einen Musikkritiker für das Wissen um die Virtuosität von Martha Argerich? Nein, man muss sie nur einmal gehört haben. Man wird sie dann gerne wieder hören wollen, wenn man klassiche Musik im Allgemeinen mag und ein klein wenig vom Zuhören versteht.

Braucht es einen Kritiker, um herauszufinden, dass Chateau Latour einen ausserordentlichen Pauillac erzeugt?

Das letzte Tüpfelchen auf dem „i“ der „Testimonialisierung“ ist die erweiterte Selektion bei den großen Terroirs in Bordeaux. Wenn es neben dem Montrose und der Dame de Montrose noch den Saint Estephe de Montrose und damit eine vierte (namenlose) Auswahl gibt, dann darf man in qualitativer Hinsicht das Schwinden von Jahrgangsunterschieden annehmen. Gab es früher von einem großen Jahrgang Montrose viel Wein, dann gab es von einem weniger spektakulären möglicherweise genausoviel. Heute wird die Selektion so auf die Spitze getrieben, dass das, was als „Montrose“ in die Flasche gelangt, die Garantie in sich trägt, dass nur das, was eines Montrose würdig ist, auch als solcher verkauft wird. Es ist im Zweifel dann nur noch ein Bruchteil der Menge, die dort früher üblich war –  und ganz nebenbei: in ertragsschwachen Jahren entsprechend noch weniger.

A_Subs17DSC_2610Fortan: bei den Testimonials auf der Hut sein – Foto © Matthias Hilse

Braucht es dazu noch einen Kritiker, der das Leistungsversprechen des Erzeugers verstärkt? Es wäre da wieder Platz für einen, der selbst eine solche Marke ist, dass er die Marke „Montrose“ in Resonanz schwingen könnte. Ein Rudel ist dafür aber unbrauchbar.

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