Überlegungen zur Bordeaux Subskription 2014

Immer, wenn sich der „early bird“ James Suckling im Frühjahr mit Verkostungsnotizen in Erinnerung bringt, naht der Moment, in dem das Heer der in Weindingen Professionellen zur alma mater des Fassverkostungsmarathons „Primeurs“ in Bordeaux zusammenkommt. Nach einem Allzeithoch vor 5 Jahren und einem immer noch äußerst beachtlichen Primeurjahrgang 2010 hat sich in den letzten 3 Jahren so etwas wie kommutative Tristesse breitgemacht, ohne dass sich abschließend entscheiden ließe, ob die Châteaux ihre potentiellen Käufer für kleinkarierter ob deren Verweigerung intensiverer Budgetlangmut hielten als jene diese wegen ihrer enigmatischen Verbohrtheit preislicher Nonchalance gegenüber oder umgekehrt.

Auf jeden Fall ist das Interesse und die Neugierde so groß, dass man zwar nicht unbedingt von einer Aufbruchstimmung, auf jeden Fall aber von einer zarten Renaissance der Primeurphantasie sprechen kann. Auch wenn das iterative Element einer jährlichen Neuauflage „the same procedure as every year“ nahezulegen scheint, ist der Primeurjahrgang 2014 ex ante mit einem „Doppel-Post“ belastet: der Abtritt Robert Parkers, des Großdegustators, von der Bühne der Fassmusterexegeten macht 2014 zum ersten Post-Parker-Jahrgang in Bordeaux. Wer die Tragweite dieser Personalie ermessen möchte, ist gut beraten, des Wissens um seine Leistung, aus dem „emerging market“ Bordeauxsubskription, dem noch zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Grammatik ermangelte, die genügend Distinktionspotential in sich barg, hochkomplexe Rezeptionsobjekte hinreichend feinsinnig zu quantifizieren (nicht um solche Koryphäen wie Michel Broadbent zu diskreditieren, deren Schema, Weine zu kategorisieren, etwa dem entspricht, wie man Hotels einstuft, aber zwischen 5 Sternen und 100 Punkten liegt eine ganze Welt) eine florierende Zeiterscheinung zu machen, eingedenk zu sein. Parker ist es vergönnt gewesen, quasi als einer der Spätindikatoren der US-Hegemonie bis in die Katakomben unserer olfaktorischen Innenwelt durch perennierende Treffsicherheit zu wirken.

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Sein Urteil hatte Gewicht, weil es Substanz hatte, und wurde zum Ariadnefaden für all diejenigen, denen der Zutritt zur Beletage juveniler Inaugenscheinnahme während der Primeurverkostungen verwehrt blieb. Zumindest seit der Zeit, seit der das Internet die Informationsgeschwindigkeit emanzipiert hat, waren die Parkerbewertungen ubiquitär verfügbar. Seine Urteile über einzelne Weine enthielten eine Option, die aus der Autorität seiner Einschätzung und der Trefferquote seiner Prognosen bestand und durch öffentliche Zugänglichkeit kostenlos war. Wenn der Hegemon nun zurücktritt, dann erlischt mit ihm und seiner ihm inhärenten Aura diese Option. Sofern dieser Gedanke den Charme gelungener Plausibilität hat, wäre die Einsicht seitens der Châteauxbesitzer in Bordeaux, die am meisten von diesem endogenen Sachverhalt profitiert haben, mit folgendem Ziel wünschenswert: mit WENIGER im Preis viel MEHR Nachfrage zu erreichen.

Dem Bordeauxmarkt, dessen Besonderheit die Subskription ist, ist nicht nur die Aura Robert Parkers abhanden gekommen, sondern auch der Zins. Dieser ist aber mit seiner Eigenschaft, Diskontierungen zu steuern, der unbewegte Beweger der Opportunität. Anders ausgedrückt: eine Subskription, die im Bewusstsein der Marktteilnehmer ihre Legitimität aus dem Zuschlag zu Vorzugsbedingungen zieht, erfährt ihre Obsoleszenz mit der Disintegration des  Zinses. Die Identität des Gleichen im Zeitablauf mit sich selbst reduziert den Sinn der Pränumeration, wie man das Vorabbezahlen bei frühen neuzeitlichen Buchprojekten auch nannte, auf ihren ursprünglichen Sinn: den der Teilhabe.

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Um die Gedankenflut hier nicht ausufern zu lassen, sei nur diese Frage der Sphäre der Neglektion entrissen, ob denn die neuerliche monetäre Enthemmung den Wein als Assetklasse per se nicht dergestalt abwerte, als der Preis des Einzelassets im Verbund mit seiner exquisiten Fungibilität ihn als zu leicht erscheinen ließe. Wo abundante Liquidität einen Hafen sucht, hat Wein vielleicht nicht genügend Tiefgang.

Wenn der risikolose Zins der Inflation unterlegen ist, ist die Erwartung, mit einer Subskription den Forwardkurven ein Schäppchen zu schlagen, verwegen bis irrelevant. Besteht der Sinn der Subskription in Zeiten wie diesen, in denen der Zinslandschaft die Topographie abhanden gekommen ist, nicht möglicherweise weniger im Bezug zum niedrigstmöglichen Preis, sondern im Bezug von der bestmöglichen Quelle? Gerade dass Wein ein hochfungibles Gut ist, macht ihn anfällig für Vielreiserei. Hätte sich das allgmeine Bewußtsein in den letzten Jahren nicht von der Ökonomisierung beinahe aller Lebensbereiche einlullen lassen, müsste es eigentlich ein Gespür für Gütefaktoren jenseits ökonomischer Maximen geben.

Wenn 2014 für mich der erste Post-Zins-Jahrgang ist, verschiebt sich damit die Intentionalität der Subskription von einer vorwiegend quantitativ motivierten hin zu einer deutlich qualitativ orientierten Möglichkeit, hochwertige Weine zu Vorzugsbedingungen zu erwerben. Die globalisierte Nachfrage wird mit der Zeit ihr Übriges tun und Fehlallokationen, die ein Relikt aus Zeiten segmentierter Welten sind, überwinden.

Geht man mit etymologischem Bedacht an die Sache heran, wird die Subskription, bei der der Subskribent ursprünglich mit seiner Unterschrift die Verpflichtung einging, an einem bestimmten Projekt teilzuhaben, zu einer „state-of-the-art-Vertriebsform“, denn in der Welt der „share-economy“ wird es bei Konsumgütern ja nicht darum gehen, sich beispielsweise eine Flasche Wein zu teilen, sondern durch die Willenserklärung Subskription teilzuhaben an der Ernte eines bestimmten Weinguts.

Auch wenn der Eintritt des Fixsterns ins Rentenalter in einem Universum zunächst einen Verlust an allgemeiner Orientierung nach sich zieht, dürfte das heraufziehende Klima Bedingungen begünstigen, die einer Pluralität der Meinungen förderlich sind. Der Konsument wird sich dabei aber nicht der Bemühung, eigene stilistische Vorlieben mit der Verkostungskompetenz einzelner Weinkritiker, die ja durchaus auch Händler sein dürfen, zu kalibrieren, entziehen können, sofern er an der Teilhabe rezeptionspluraler Verhältnisse interessiert ist.

In diesem Sinne tauchen wir mit dem Bordeaux-Jahrgang 2014 ein in eine neue Ära, die deutlich demokratischere Züge tragen wird als diejenige, die mit dem gescheiterten Umzug des Orakels von Maryland nach Singapore und der Infiltration martialischer Begrifflichkeit („Dicke Bertha“) in die Geldtheorie ein Ende gefunden hat.

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