Können Orakel umziehen?

Einst, als es noch der Götter viele gab und die Welt noch nicht „durchrationalisiert“ war, gab es eine Einrichtung, die man, sofern man mit seinem Latein (damals wohl eher: Griechisch) am Ende war, aufsuchte, um sich Rat zu verschaffen: das Orakel von Delphi. Nun sind die Anekdoten reichlich, dass es für die Ratsuchenden nicht immer vorteilhaft war, sich dorthin zu begeben. Darunter litt aber die Credibilität dieser Einrichtung offensichtlich nicht nachhaltig.

In der Welt der modernen Belange ist das Orakel meist etwas aus der Mode gekommen, sieht man einmal von dem legendären Warren Buffet ab, der in Omaha residiert und dort durch weitsichtige Anlageentscheidungen unter anderem auch ein Orakel betreibt.

Prominentester Parkerloyalitätsverweigerer: Lafite Rothschild

Prominentester Parkerloyalitätsverweigerer: Lafite Rothschild

Durch seine außergewöhnliche Fähigkeit, die flaschenadäquate Potenz von Fassproben, besonders aus Bordeaux, vorherzusagen, hat sich Robert Parker jr. in den letzten Jahren ebenfalls den Ruf erarbeitet, ein Orakel zu sein, in seinem Fall das aus Maryland.

Das Orakel per se muss über zwei unabdingbare Voraussetzungen verfügen: es muss unabhängig sein, darf  keiner Einflußnahme unterliegen und es muss ex-ante-Fähigkeiten besitzen.

Nun wurde eines dieser Orakel verkauft. Man müsste meinen, solche Einrichtungen seien, weil mit  öffentlichem Interesse gesegnet, unverkäuflich. Da aber die Prognosepotenz einerseits zwar substantiellen, zum Ergon der Person Parker gehörenden Charakter hat, andererseits aber ebenso der Hinfälligkeit des Ephemeren unterliegt wie alle sinnlich-rezeptiven menschlichen Anlagen, verflüchtigt sich der Wert des Orakels mit dem Niedergang seiner ihm wesenhaften besonderen persönlichen Fähigkeit.

Aus der Ferne hat es den Anschein, dass der Verkauf der Einrichtung gegen den Lauf der Sonne im Sinne eines alten Sprachbildes nur die zweitbeste Fahrt war: da der Kronprinz besonders bei Bordeaux 2009 zu sehr patzte, konnte die „in-house-Lösung“ mit Neil Martin nicht konsequent weiterverfolgt werden.

Würden wir heute über Robert Parker reden, hätte er nicht in einer Zeit reüssiert, in der die USA unbestritten die Wirtschaftsmacht Nummer Eins waren und der geopolitische Hegemon? Wohl kaum.

Wenn nun also das Orakel aus Maryland versucht, zukünftig das Orakel aus Singapore zu sein, werden wir ebenso bereitwillig seinem Urteil folgen wie bisher? Subsummiert man unter dem kolletiven „wir“ das weinaffine, distinktions- und eigenurteilsfähige Publikum, dann sollten wir die Zeit des Umbruchs nutzen, um uns an Geschmacksbildern zu orientieren, die unseren kulturellen und gastrosophischen Wurzeln entsprechen. Es muss nicht immer dick sein, auch nicht immer laut, und dort, wo das Seduktive obszön wird, ist Trinkverweigerung angemessener als Punktenachlallen.

Wird im Sinne des „le roi est mort, vive le roi“ schon bald der nächste Alexander ausgerufen, oder zersplittert sich die Weinkritik nun in langatmigen Diadochenkämpfen? Fest steht, dass es auf die Sprache ankommen wird, denn in der globalisierten Welt zählt der Klick, der dann unterbleibt, wenn der Inhalt unverständlich ist.

Wo Amazon einerseits den Horizont flankiert und  mithin das Reichweitensegeln zum Inbegriff akuter Händleragonie wird und das Internet andererseits sein immanentes margenanämisches Gepräge vertieft, kann es für den, der die Inhalte seines Tuns zu distinguieren weiß, eigentlich nichts Besseres geben als den Verlust allgemeiner Deutungshoheit, der den Epigonen das Leitbild und die Orientierung nimmt. Wie man jüngst wieder feststellen konnte, ergibt das Kopieren fremder Urteile kein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich die Uniformität virtuell konglomerater Masse aufbrechen ließe.

Es wäre der in ihren Präszisionsmöglichkeiten abundanten deutschen Sprache sehr zu wünschen, wenn sich ein Weinkritiker finden ließe, der in der post-Parker-Ära, die vielleicht schon begonnen hat, den Weinen, vor denen man niederknien möchte und die es verdient haben, in einen reichen Wortfundus gebettet zu werden, semantisch auf der Höhe ihrer Exzellenz zu begegnen weiß.

 

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