„NACH“-gedacht: Bordeaux 2009

Wie wohl kaum jemals eine Ernte zuvor, wurde der Bordeaux-Jahrgang 2009 von einem medialen Overkill begleitet, der jeden alt aussehenlassen schien, der Antikörper gegen diese endemische Vereinnahmung parat hatte. Nach dem mehrmaligen Ausrufen eines neuerlichen „Jahrhundertjahrgangs“ musste schon die Hypersuperlativkeule her, um Zweifel an der inflationär angewandten Begrifflichkeit zu zerstreuen. In einer konzertierten Akklamationskampagne entstand ein solches Stimmungshoch, dass jegliche Wolke des Zweifels und des Arrivageattentismus sich in nicht viel mehr als Nichts auflöste.

Im Sog dieser äußerst dynamischen Nachfragehausse kamen viele Kunden neu zu Bordeauxweinen –  und zur Subskription, dem vorherrschenden Bezugssystem hier. Nachdem nun schon der nächste Jahrhundertjahrgang die Lager der Anbieter erreicht, ist es an der Zeit, die Situation im Licht der Post-Arrivage-Verkostungserkenntnis zu betrachten.

 Kapselsextett

Um es vorweg zu nehmen: besser hätte es für die Bordeauxnovizen nicht laufen können! Mir ist kein Jahrgang in den letzten beiden Dekaden erinnerlich, in dem die Aspekte Qualität, Zugänglichkeit, Ausgewogenheit, Fruchtopulenz und „seduktives Elixir“ in einer solchen Prägnanz und stilistischen Streuung kulminiert hätten. Das, was für diejenigen, die den Bordeauxpfad erst betreten, ein verführerisches Aufbruchsignal sein dürfte, schreckt die alten Hasen nicht selten eher davon ab, die Lobeshymnen mit zu skandieren, denn sie machen sich Sorgen um die Lagerfähigkeit solcher „Frühschmeichler“.

Ist es aber verwunderlich, wenn in der „Post-Lagerhaltungsära“, die einst in der Automobilindustrie eingeläutet wurde, mithin also gerade in unseren Breiten besondere Auswüchse zu verzeichnen hat, in der das allgemeine ökonomische Denken eher von Begriffen in der Art negativen working capitals geprägt ist, die insinuieren, dass das kapitallastige Sammeln eher eine bemitleidenswerte Schwäche sei – , mithin derjenige, der sich nicht von seinen Lieferanten finanzieren lässt, um eine verpasste Opportunität ärmer ist, auch die Erzeuger von hochwertigen Genußmitteln nicht darum verlegen sind, die als Last empfundene Wartezeit so weit wie möglich zu reduzieren?

Nun muss man noch nicht einmal Vorsatz unterstellen, denn die ersten Verkostungen des Nachfolgejahrgangs lassen eher koinzidenten als stylistisch forcierten Charme vermuten.

Nicht um Ihre geneigten Nasen rümpfen zu machen, möchte ich Bordeaux 2009 als den Jahrgang mit den Allüren einer eierlegenden Wollmilchsau bezeichnen. Neben einem andenartig ausgeprägten Gipfelniveau mit perfekten Weinen, die man nicht an den Fingern seiner Hände abzählen kann (auch wenn der Großdegustator es hier etwas zu gut meint) und einem sowohl in der Ausprägung seiner Breite als auch in der Spitze seiner Güte vergleichslosen Mittelfeld klassifizierter Gewächse gibt es eine Armada an bürgerlichen Weinen, die alles jetzt schon haben, was man sonst erst nach langem Zuwarten bekommt: Erhabenheit, Balance, Charme, Esprit, Finesse. Viele Weine kann man jetzt bereits mit großer Hingabe trinken, andere werden erst in der übernächsten Generation den Horizont ihrer Größe offenbaren.

Und anders, als ich es selbst lange Zeit vertreten habe, gibt es Bordeaux in der „Zehneuroliga“, die man getrost als Ouvertüre mit ordentlicher Orchestrierung bezeichnen kann. Einige ausgewählte „Sinnenschmeichler 2009“ finden Sie HIER:

 

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