Château Pontet-Canet 2011

Nur selten habe ich bisher solche Momente tiefsten Ergriffenseins bei einer Weinpremiere erlebt wie in diesem April, als mir Alfred Tesseron,  der Patron des State-of-the-Art-Weinguts Chateau Pontet-Canet, dem von mir nun fortan als Protopauillac bezeichneten Überchâteau, das die bordelaiser Hierarchie mit der Wucht eines Erdbebens verändert hat, seinen in karaffierter Weite atmenden Wein zum Verkosten einschenkte. Gerade die tiefe Verwurzelung dieses begnadeten Visionärs und seines kongenialen Regisseurs Jean-Michel Comme im Ursprung seiner Profession, fernab den Verlockungen mondäner Schau, macht den Unterschied zu vielen namhaften Insignienträgern der bordelaiser Oligarchie aus. Wer wissen möchte, was in einem Jahrgang möglich ist – mithin also die Potenz der Ernte zu ermessen sucht, der ist gut beraten, früh zu den südlich von Mouton  eingespannten Pferden zu ziehen.

Die Avantgarde als ästhetischer Begriff ist oft Ausweis eines radikalen Bruchs mit den tradierten Formen. In diesem Sinne könnte man das, was sich auf Château Pontet-Canet vollzieht, als Retro-Avantgarde bezeichnen, denn der Umbruch vollzieht sich in iterativer Durchdringung eines Entwicklungskontinuums zurück zu den Wurzeln einer heute als bedenklich eingestuften Vernachlässigung der Bedingung der Möglichkeit von Rebvitalität. Um es etwas einfacher auszudrücken: die prima causa eines herausragenden Weins liegt in der bestmöglichen Entfaltung des Fruchtträgers Rebe. Im übertragenen Sinn kann der Winzer noch so viel in seinen Keller investieren, wenn er den Rebwurzeln nicht genug Luft zur Respiration lässt, riskiert er einen kurzatmigen Wein.

Es liegt eine überaus passende Analogie zwischen dem Gedanken der Langsamkeit, wie er sich aus dem Vergleich der Tempi eines Traktors und eines traktorensubstituierenden Pferdes ergibt und dem der Wartezeit, die man verstreichen lassen muss, um zum richtigen Zeitpunkt die vollendete Wesenswerdung eines großen Weins genießen zu können.

Verkostungsnotiz:

In brillantschwarzer Brandung, die der gebührende, geduldige Glasschwung verursacht, verströmt der Pontet Canet 2011 mit zunehmender Luftzirkulation ein burgundisch-feines, aromenabundantes, von feiner Exotik unterlegtes und mit einem Mineralienhauch durchwebtes Bouquet von reifen roten und schwarzen Beeren mit etwas Nougat im Nachhall. In hier so noch nicht gekannter Feinheit, ja Zartheit, die kein Ausweis fragiler Zerbrechlichkeit, sondern Signum differenziertester Struktur ist, schwebt der eminent elegantfruchtige, durchaus druckvoll wirkmächtige Wein wie von der Schwerkraft enthoben im seidigen Gewand feinstgewobener Tanninität, mit mineralischer Verve und exemplarischer Fruchbrillanz, in einem großen Wurf und aus einem Guss einem elegischen, atemberaubend aromatischen retronasal sich verstärkenden Finale von femininen Esprit entgegen. Pontet Canet ist die konsequente Finesseninterpretation des Jahrgangs 2011. A pas manquer!

Matthias Hilse: 96-98+

Dieser Beitrag wurde unter Bordeaux Primeur 2011 abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.