Château Latour ist dann mal weg

Château Latour, das einst das Flaggschiff der bordelaiser Königsklasse war, wird nach eigenen Angaben mit dem Jahrgang 2012 aus dem Bezugsmodell der Primeurvermarktung aussteigen. Bevor nun generelle Überlegungen über die Motivation eines solchen Schritts anzustellen sind, gilt es, die faktische Relevanz davon auszuleuchten.

In modernem öknonomischem Jargon ist das Primeurgeschäft aus Sicht des Händlers eine Art Optionsgeschäft, bei dem der Bezieher eines Weins einen Anspruch darauf hat, die gleiche Menge auch im nächsten Jahr angeboten zu bekommen. Der Preis ist dabei unbekannt – was jedoch schwerer wiegt:  auch die Erntemenge ist ungewiss, so dass es sich um ein flügellahmes Modell handelt.

Einerseits lassen sich über die geforderten Preise zwar auch die bisherigen Kunden zermürben, im Falle der Premier Crus, bei denen es darum ging, die zur Verfügung zu stellenden Mengen in Richtung der neu-domizilierten Nachfrage zu shiften, musste aber noch ein weiteres Gimmick eingebaut werden: die sogenannten Tranchen. In alljährlich steigender Lächerlichkeit wurden bei jeder interessanten Ernte (2005, 2009, 2010) stellenweise aberwitzig kleine erste Tranchen angeboten, so dass das Prinzip der Allokation grundlegend erodiert wurde.

Solange die Phantasie im Markt war, dass die Asiaten schon als „buyer of last resort“ präsent sein würden, spielten die meisten Händler, die die Kunden der Negociants sind, die die Kunden der Châteaux sind, dieses seltsame Spiel mit.

Château Latour darf für sich in Anspruch nehmen, schon seit längerem Signale gesendet zu haben, kein eigentliches Interesse mehr am Verkauf der Weine im bisherigen System zu haben. Denn die allokierten Mengen sind seit einigen Jahren um den Faktor 50% degressiv. Zur Erklärung: aus einer 12er OHK Latour 2008 wurde so eine 3er OHK 2010. Insofern dürfte es für die meisten Händler kaum ins Gewicht fallen, wenn auf dem Primeurmenü 2012 Latour nicht mehr zu finden sein wird.

Vielleicht ist gerade der kein Schelm, der das angekündigte Geschehen als Krönungspunkt marktmagischen Agierens identifiziert. Was hat Château Latour in den letzten Jahren gemacht? Es hat seinen Wein sukzessive durch Mengenverknappung zu einem Garagenwein homöopathisiert. Gleichzeitig wurden die Negociants bedrängt, die Latour-Kunden offenzulegen. Man weiß dort genau, wer den Wein wann in welcher Menge gekauft hat.

Den sagenhaften „nachflageinduzielten“ Preisanstieg der Kollegen von Lafite hat man mit Angebotsverknappung gekontert. Wie gewünscht stiegen die Latourpreise fast im Gleichklang mit den Lafitepreisen. Der Markt prägte so in den letzten Jahren eine eigentlich abnormale stetig positive Preisstrukturkurve aus: die neuesten Jahrgänge waren regelmäßig teurer als die schon in Ehren gereiften und über den Zweifel der schlummernden Potenz erhabenen Altweine. Für das Risiko, einen zu hoch bewerteten Wein zu kaufen, waren die Kunden auch noch bereit, ein deutliches Aufgeld zu bezahlen.

Zielorientierung des Latour-Vorgehens dürfte sein, an der zu erwartenden Veränderung der Preisstrukturkurve zu verdienen. Alles, was man, neben dem Eintritt der hypothetischen Veränderung, benötigt, ist genügend Speicherraum (dieser Aspekt der Geschichte läuft damit diametral der Entwicklung im globalen Wissensmanagement entgegen), um den gestiegenen Sicherheitsdenken der Kunden zu begegnen: der Kunde kauft ex cellar des Château. Was jedoch mit Weinen geschieht, die in einem Preismonopol gefangen sind, ist eine durchaus offene Frage. Für diejenigen Winzer, die danach streben, in den „elitären“ Zirkel der Weingüter integriert zu werden, deren Weine en primeur angeboten werden, dürfte das Vorgehen beispiellos nonchalante Ignoranz signalisieren. Und vielleicht ist die ganze Sache ja etwas für die Piraten. Wie ist es eigentlich um meine Freiheit als Konsument bestellt, wenn das Château den Zeitpunkt des Genusses par ordre de mufti diktiert?

Latour ist eine der modernen Weinlegenden und hat als solche eine mythische Aura. Mythen müssen leben, sie müssen in der Phantasie das menschliche Maß sprengen und die Teilhabe am Unendlichen suggerieren. Dazu müssen Sie tief im Bewusstsein verankert sein. Sie dürfen weit weg sein, aber ein Weg zu Ihnen muss möglich sein. Ob man das bei der neuen Strategie bis zu Ende bedenkt?

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